tunguska - (c) Diane Neisius (diane_va@yahoo.com) - GPL'te freie Software - Inhalt 0. Einführung 1. Installation 2. Beschreibung des Programms 3. Beispiele 4. Probleme 5. Referenzen 0. Einführung Tunguska wurde von mir nach dem Artikel von Hill und Goda [1] nachprogrammiert. Der Beweggrund war für mich zum einen das amateurastronomische Interesse an Ereignissen wie Tunguska 1908, zum anderen suchte ich eine anregende Übungsaufgabe, um mich mit der Programmiersprache C vertraut zu machen. WICHTIG: Das vorliegende Programm ist für amateurwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Verhalten von Meteoroiden in der Atmosphäre gedacht und nicht zu Unterhaltungszwecken! So etwas wird von langen, ausgegebenen Zahlentabellen sicher nicht befriedigt werden! C-Hackerprofis mögen über meinen Stil sicher lächeln - man merkt ihm sicher an, daß ich die meiste Zeit meines Berufslebens wissenschaftliche Software in PASCAL und FORTRAN entwickelt habe, und mir war stets ein übersichtlicher Quellcode wichtiger als ein paar Nanosekunden einzusparen - was angesichts optimierender Compiler und Gigahertz-Prozessoren ohnehin nicht mehr so zählt wie vor zwanzig Jahren. Solingen, 16. 1. 2002 - Dr. rer. nat. Diane Neisius. 1. Installation Die Installation von Tunguska ist dank "Make" ziemlich simpel, sofern denn ein C-Compiler und make auf Ihrem System installiert sind. Nach Auspacken des auf Ihren Rechner heruntergeladenen Archives entpacken sie es mit gunzip und tar in ein Verzeichnis Ihrer Wahl. dann wechseln sie mit cd in /tunguska und tippen make ein - der Rest sollte automatisch funktionieren. Das Programm wurde auf einem Linux-System mit dem GNU-C-Compiler gcc 2.95 entwickelt. Da ich aber keine speziellen Tricks angewandt habe, sollte es auf vielen anderen Systemen und mit anderen C-Compilern ebenfalls übersetzt und ausgeführt werden. 2.Beschreibung des Programms Tunguska arbeitet mit dem von Hill und Goda [1] angegebenen Satz von Differentialgleichungen, die die Bewegung und das Abschmelzen eines Asteroiden oder Meteoroiden in der Erdatmosphäre durch ein einfaches Modell darstellen. Die Gleichungen werden dabei durch ein Runge-Kutta-Schema 4. Ordnung numerisch gelöst. Das Programm erwartet seine Eingabedaten zwingend in der Datei tunguska.in, die sich im aktuellen Verzeichnis befinden muß. Erwartet werden ein Buchstabe, der das Material des Meteoroiden angibt (Eisen, Silikat oder Chondrit), sein Durchmesser, die Geschwindigkeit und der Winkel, unter dem er in die Atmosphäre eintritt. Der letzte Wort gibt die Zeit-Schrittweite an, mit der die berechneten Lösungswerte ausgegeben werden. Ausgegeben werden für eine bestimmte Zeit jeweils die Werte: Zeit in Sekunden, Masse des Meteoroiden in Tonnen, die momentane Geschwindigkeit in km/s, die momentane Höhe in km, die momentan zurückgelegte Strecke über Grund in km, den Durchmesser des Meteoroiden in Meter und die absolute Helligkeit in mag normiert auf eine Entfernung von 100 km. Der Durchmesser bezieht sich dabei nur auf den Körper selbst, wenn noch kein Aufbrechen erfolgt ist, sonst ist der Durchmesser der Trümmerwolke damit gemeint! Die verschiedenen Ereignisse wie Aufbrechen, Separation der Bruchstücke etc. werden zwischen den Ergebniszeilen gegebenenfalls kurz notiert. Normalerweise durchläuft das Programm mehrere Stadien. Zuerst wird der Meteoroid in der Atmosphäre nur abgebremst und schmilzt ab. Irgendwann überschreitet der Staudruck die Materialfestigkeit des Meteoroiden, dieser bricht auf in eine Trümmerwolke ("initial breakup"). Bald danach haben die Trümmer sich weit genug voneinander entfernt, daß der Staudruck sie ebenfalls ungehindert traktieren kann, die weiteren Stadien des Zerbrechens beginnen ("fragmentation continues"). Wenn die Trümmerwolke weit genug abgebremst ist, sinkt der Staudruck, das Zerbrechen kommt zum Stillstand ("fragmentation stops"). Die Trümmer bewegen sich weiter auseinander, der Durchmesser der Wolke steigt, bis die einzelnen Teile aerodynamisch nicht mehr als zusammenhängend betrachtet werden dürfen ("separation , ..."). Danach wird das größte Bruchstück als Einzelkörper weiter verfolgt, solange, bis eine der Abbruchbedingungen eintritt: entweder der Einschlag auf der Erdoberfläche oder das völlige Abschmelzen der restlichen Masse. Natürlich werden nicht immer alle Stadien bei der Rechnung durchlaufen. Große Eisenmeteoroiden zum Beispiel neigen dazu, auf dem ganzen Weg bis zum Einschlag weiter zu zerbrechen, einige kleinere Meteoroiden brechen nur auf, ehe das Zerbrechen gleich wieder stoppt. Einige Modifikationen gegenüber dem Originalverfahren wurden eingeführt. Zum einen wird die Schwerebeschleunigung als konstant vorausgesetzt, weil üblicherweise die zurückgelegten Entfernungen der Meteoroiden klein gegen den Erdradius sind. Zum anderen wurden die zurückgelegte Strecke als Variable mit eingeführt und die Krümmung der Erdoberfläche berücksichtigt. Das macht es gegenüber der Arbeit von Hill und Goda möglich, auch "Atmosphärenkratzer" wie den Montana-Feuerball von 1972 [2,3] nachzurechnen. Natürlich wurde dafür eine weitere Abbruchbedingung eingeführt, wenn nämlich der Meteoroid die Atmosphäre wieder verläßt. Es war eine bewußte Entscheidung, in Tunguska die Formel zur Berechnung des Druckwellenschadens aus der Arbeit von Hill und Goda wegzulassen. Ich möchte nicht auf die Ergebnisse der Atomwaffenforschung zurückgreifen. 3. Beispiele Einige der bekannteren Beispiele großer Boliden sind (jeweils Ein- und Ausgabe) in dem Verzeichnis tunguska/examples dokumentiert. Tunguska 1908 [4]: Man nimmt heute an, daß die Tunguska-Explosion (die auch Pate bei der Namenswahl des Programms stand) von einem chondritischen Meteoroiden mit einem Durchmesser von 80 Metern verursacht wurde . In der Tat liefert die Rechnung auch nur Fragmente im Kilogramm-Bereich nach dem Zerbrechen des Körpers. Die Rechnung zeigt auch, daß die Bruchstücke snell auf Geschwindigkeiten abgebremst wurden, bei denen die Erdrotation mit 1600 m/s nicht mehr vernachlässigbar ist, was die scheinbare Richtungsänderung wärend des Fluges erklärt. Sikhote Alin 1947 [5]: Von diesem Eisenmeteoroiden sind viele Bruchstücke gefunden worden (ich besitze zwei kleine davon). Ursprünglich wurde eine relativ niedrige Geschwindigkeit von 14.5 km/s angenommen, die aber im Modell nicht zum Zerbrechen führt. Höhere Geschwindigkeiten von 18 und 22 km/s zeigen entweder das gefundene größte Fragment im Tonnen-Bereich oder ein passendes Streufeld, aber nicht beides zugleich. Hier zeigen sich die Grenzen des Modells, das diesen inhomogenen "klumpigen" Körper, dessen Fragmente sich möglicherweise sehr unterschiedlich verhalten haben, nicht richtig beschreibt. Barringer-Krater: Für diesen ansehnlichen Krater in Arizona wird ein Eisenmeteoroid mit 60 Meter Durchmesser verantwortlich gemacht. Die Rechnung zeigt, daß er relativ langsam auf die Erde getroffen sein muß (12 km/s), da er sonst zerbrochen wäre. Montana-Feuerball 1972 [2,3]: Bartky, Gordon und Li schlagen einen Eisenmeteoroiden mit 50 Meter Durchmesser vor. Die Rechnung zeigt aber, daß die beobachtete Helligkeit von ca. -19 mag nicht dazu paßt, sie wird eher von einem Körper mit nur 15 Metern Durchmesser geliefert. Er verläßt nach einer Strecke über Grund von fast 2000 km und 2 Minuten Flugzeit wieder die Atmosphäre, ohne zu zerbrechen. Das letzte Beispiel verführt natürlich zu der Frage, wie nahe ein Meteoroid der Erde überhaupt noch kommen kann, ohne aufzuschlagen - oder umgekehrt, wann er gerade nicht mehr "davonkommt". Das Programm simuliert auch diese Grenzfälle mit zufriedenstellender Genauigkeit. Wer eine fast zwanzig Minuten dauernde Odyssee zwischen Himmel und Erde berechnet haben will, der füttere Tunguska mit den Daten des Montana-Feuerballs und ändere den Winkel auf 7.788 Grad... 4. Probleme Neben Problemen bei der Eingabe (die Datei tunguska.in sollte möglichst nur mit einem Editor im Overwrite-Modus geändert werden) kann es zu Fehlern bei der Ausgabe kommen, wenn die Schrittweite für das Runge-Kutta-Verfahren nicht richtig gewählt wurde. Im Zweifelsfall kleiner machen! Im Programm selbst wird während der kritischen Stadien des Zerbrechens die Schrittweite automatisch halbiert, aber es sollte in jedem Fall mehr als ein Zeitschritt zwischen den verschiedenen Stadien der Simulation liegen. Richtwerte für die Eingabe können aus dem Beispielen in tunguska/examples genommen werden, ansonsten gilt, daß kleinere Meteoroiden auch kleinere Zeitschritte verlangen, da sie viel schneller abgebremst werden. Das "endlose Fallen" kleiner Bruchstücke nach der Separation läßt sich nicht immer vermeiden. Die Schrittweite wird bei Unterschreiten der Schallgeschwindigkeit automatisch drastisch erhöht, aber nicht immer genügend, um lange Ausgabelisten zu vermeiden. Das ist leider nötig, da sich das Verhalten der Rechnung hier nicht genügend verallgemeinern läßt. Falls schon beim kompilieren Probleme Auftreten, weil Ihr C-Compiler die Konstante M_PI nicht kennt, setzen Sie diesen im Hauptprogramm einfach von Hand auf den Wert 3.14... (in tunguska.c Zeile 32). 5. Referenzen [1] Hill / Goda The Fragmentation of Small Asteroids in the Atmosphere Astr. J. 105(1993) p. 1114 [2] A Great Daylight Fireball over the Northwest Sky & Telescope, Oct. 1972 p. 269 [3] Bartky/ Gordon / Li (Letter) Sky & Telescope April 1973 p. 219 [4] R. Gallant Journey to Tunguska Sky & Telescope June 1994 p. 38 [5] R. Gallant Sikhote Alin - Fifty Years Later Sky & Telescope Feb. 1997 p. 50