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Familienbande: Kommissar Gork ermittelt

Kommissar Gork, der halborkische Polizist der Zivilverwaltung von Ithiljar, schlich dickvermummt duch die schlechterleuchteten Gassen der östlichen Menschenviertels. Vor kurzem hatte er vom Fenster seines Wohnhauses eine verschlossene Sänfte das alte Lhuntor passieren sehen; und das bedeutete, daß er sich rasch auf den Weg hatte machen müssen.
Gork hatte sein Heim durch den Hinterausgang verlassen und war duch eine Lücke in der Inneren Mauer in die Gäßchen gelangt. Er atmete dichte Dampfwolken aus, denn die Polarnacht war noch immer klar und kalt geblieben. Trotzdem machte er diesen kleinen Umweg; man konnte in dieser Stadt nie damit rechnen, unbeobachtet zu sein, nicht einmal bei dieser Kälte und Dunkelheit, und daher hatte der Kommissar beschlossen, von hinten auf die Hauptstraße zu gelangen.
Er trat in den trüben Fackelschein der östlichen Ausfallstraße aus dem Zentrum von Ithiljar. Vor ihm, kaum erhellt von den wenigen Fackeln in der Nähe, erhoben sich die hohlen Türme des ehemaligen Lhuntors, die die Straße nur ein wenig verengten. Ein echtes Tor gab es hier schon lange nicht mehr, die Stadtbefestigungsanlagen waren schon vor Jahrhunderten weiter nach außen verlagert worden.
Außer dem Halbork schien niemand in der Nähe zu sein, als dieser gemächlich zwischen den funktionslosen Tortürmen hindurchschritt. Jenseits breitete sich ein kurzes Stück Dunkelheit über einer Fläche unbebauter verschneiter Tundra, hinter der die Lichter des neueren Stadtteils am Nimbar-Tor in der äußeren Stadtmauer blinkten.
Der Zivilpolizist fragte sich, ob ein einzelner Spaziergänger in dieser Richtung wohl auffallen würde. In dem isolierten Stadteil am Tor lebten einige elfische Kunsthandwerker, die hauptsächlich Diamanten für den Xarinn-Clan schnitten, nebst ihrer menschlichen Diener. Es gab nicht viele Boten oder Lieferanten, die hierherkamen, und nur ein wenig Durchgangsverkehr in Richtung Nimbar. Gork hoffte trotzdem, nicht aufzufallen. Notfalls konnte er noch immer auf einem der Pfade durch das unbebaute Land in Richtung der Altstadt verschwinden, und dort würde man ihn schwerlich aufspüren.
Wie es Eigenart der Menschen war, wohnten sie auch hier in winkeligen Gassen, und der Zivilpolizist verschwand flugs von der breiten erleuchteten Ausfallstraße, als er die ersten Häuser erreichte.
Die Sänfte, die er anfangs beobachtet hatte, hatte er auf dem ganzen Weg nicht gesehen, dies aber auch nicht erwartet. Es genügte, zu wissen, daß sie am Treffpunkt sein würde. Gork erreichte eine bestimmte Gasse, von der er einen guten Blick auf ein bestimmtes, einzelnes Dunkelelfenhaus hatte. Die Fenster waren dunkel, bis auf eine einsame Kerze im Fenster des Obergeschosses. Gut. Der Halbork trat vor das Haus und begann eine bestimmte, sorgsam abgezählte Menge an Schritten zu machen, drei nach links, fünf nach rechts und dann noch einmal sieben...
Die Kerze verlosch, und kurz danach traten zwei schwarzverhüllte Gestalten aus dem Seiteneingang des Hauses. Gork erkannte, daß eine davon unter ihrem Umhang Waffen verbarg. Natürlich. Sie würde niemals allein kommen.
Der Kommissar war zügig in Richtung Norden gegangen, in der Richtung, in der ein Pfad die Häuser des Diamantenschleiferviertels verließ und in Richtung der Altstadt von Ithiljar führte. Wanderer auf diesem Weg würden niemandes Aufmerksamkeit erregen. Er hörte, daß die zwei schwarzgewandeten Gestalten ihm folgten, und er verlangsamte seinen Schritt erst jenseits der Häuser, als sie auf dem dunklen Pfad in der unbebauten Tundra unbeobachtet waren.
"Ein ungewöhnlicher Treffpunkt, das muß ich schon sagen. Ich hoffe, es ist den Aufwand wert", sagte Lady Gwinbrinans rauchige Stimme in der eiskalten Dunkelheit.
"Herrin, ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid", antwortete Gork und beeilte sich, sich zu verbeugen. Sein Blick wandte sich fragend zu der verhüllten Begleitung.
Die Elfin lachte kurz und trocken. "Du hast doch wohl nicht geglaubt, daß ich wirklich allein komme, ohne meine Dienerin. Aber keine Angst, sie ist taubstumm."
"Ich danke Euch wirklich sehr", wiederholte der Kommissar noch einmal, "es ist wirklich wichtig. Aber bitte, laßt uns langsam auf diesem Weg weitergehen, damit wir niemandes Aufmerksamkeit erregen."
"Du bist sehr vorsichtig, Gork. Aber vermutlich bist Du nur deshalb so weit gekommen in Deinem Leben."
Der Angesprochene überlegte, ob das ein Lob sein sollte. Beim Aufrichten aus seiner gebückten Haltung registrierte er, daß die alte Lady wirklich sehr klein und zierlich war; sie überragte ihn kaum. Die Dienerin folgte beiden lautlos wie ein Schatten.
Mit leiser Stimme begann Gork nun von seinen Erkenntnissen über die Verschwörung und den bevorstehenden Anschlag bei der Operngala zu berichten. Er beschönigte nichts, weder daß er keine Beweise gegen die Beteiligten hatte noch daß er nicht wußte, wer der Hintermann war und auch keine Zeit mehr blieb, weitere Erkundigungen einzuziehen. Er erwähnte, daß es eine Spur in Richtung der Familie seiner Gesprächspartnerin gab, sagte allerdings nichts davon, auf welche Weise er das erfahren hatte.
Lady Gwinbrian sagte zuerst nichts, während der Zivilpolizist erzählte, und er spürte, wie ihr Blick in der Dunkelheit unter den Sternen hart wurde wie die Diamanten, die ihr Clan in den Minen unter dem Aeghras brechen ließ. Das ungleiche Trio setzte seinen Weg langsam durch die verschneite Tundra in Richtung der Altstadt fort, von der nunmehr die ersten Geräuschfetzen herübergeweht wurden.
"Genug." Gork hätte schwören können, den Haß in der Stimme der Eiselfin hören zu können, als sie ihn schließlich unterbrach. "Die Handschrift ist deutlich. Es gibt nur einen, der so etwas planen und ausführen kann."
Sie warf den Kopf zurück. "Aaah... wie gerissen vorbereitet diese Intrige ist. Die Clans sind nervös. Alle haben Skandale am Hals und verdächtigen die anderen Clans, ihnen das eingebrockt zu haben. Die Stimmung wird sehr, sehr nervös sein bei der Gala, besonders, da alle Familien anwesend sein werden. Der kleinste Vorfall könnte sie aufeinander losgehen lassen. Vielleicht reicht schon ein einziger, ungezielt in den Zuschauerraum geschossener Pfeil, um die Situation wie ein Magiegeschoß explodieren zu lassen. Ha! Möglicherweise würden sie sogar ihre Privatgarden aufeinanderhetzen, und es würde ein Massaker geben. Wie raffiniert! Die Clans wären auf ewig entehrt. Und wenn er es mit Hilfe dieses Ordensemporkömmlings fertigbekommt, die Oper von der Legion umstellen zu lassen, hat er sie alle auf einmal wie Ratten in der Falle. Genial. So etwas kann nur einem kranken Gehirn entspringen."
"Ein Mitglied Eurer Familie?", fragte der Halbork beinahe keck.
"Formal schon. Ich lege Wert darauf, mit ihm nicht verwandt zu sein."
"Ich verstehe nicht..."
Die Eiselfendame lachte rauh und bitter. "Das kannst Du auch nicht. Es geht einen Diener nichts an."
"Herrin, ich möchte etwas zu bedenken geben", wandte der Polizist kühn ein, "es könnte mir bei meinen Ermittlungen helfen, wenn ich etwas besser wüßte, welche Stellung er hat. Ich verstehe immer noch nicht, warum er neben den anderen auch seinen eigenen Clan stürzen will."
Gwinbrian zischte leise und gefährlich, und Gork wußte, daß er sie nicht weiter reizen durfte. "Es ist nicht sein Clan", gab sie gedehnt zurück, "er ist ein Emporkömmling. Ein Mitläufer. Leider ein sehr gerissener."
Eine Pause entstand, in der der Kommissar sich auf unangenehme Weise an die stumm in seinem Rücken schreitende bewaffnete Dienerin erinnerte. Nervös sah er zu den nahen Lichtern der ithiljarischen Altstadt hinüber.
Die eiselfische Lady schien sich nun zu einer Antwort durchzuringen. "Fingor ist ein Bastardsohn meines Schwagers. Als meine unfähigen Halbschwestern ihren Nichtsnutz beim Dahingang meines Vaters bewiesen, kämpften statt ihrer ihre angeheirateten Gatten um die Macht. Und der Gewinner hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als den bürgerlichen Abschaum seiner Verwandschaft in unseren Clan mit aufzunehmen, unter anderem Fingor. Es war sein Recht als neuer Clanchef, stärkte seinen Einfluß, und wir anderen waren machtlos."
"Fingor ist also gar nicht von adeligem Blut", wiederholte Gork, in dessen Polizistengehirn die Teile plötzlich einrasteten, "er könnte also nicht darauf hoffen, seinem Vater als Clanchef des Hauses Xarinn nachzufolgen?"
"Auf keinen Fall", gab die adelige Dame entrüstet zurück, "das würde nicht einmal meine unfähige Halbschwester zulassen. Schließlich hat sie eigene Kinder von ihrem Gatten."
"Dann hat er also ein Motiv", murmelte der Kommissar.
"Gork, ich muß sagen, ich bin beeindruckt von Deinen Fähigkeiten." Die alte Dame schien plötzlich ein Interesse zu haben, das Treffen bald zu beenden. "Allerdings scheinst Du nicht zu wissen, mit wem Du Dich da einläßt. Dieser Emporkömmling ist verschlagen wie ein Silberfuchs. Wenn er auch nur den Hauch eines Verdachtes bekommt, daß wir von der Sache wissen, sind wir alle tot. Ja, selbst mich würde er aus dem Weg schaffen."
Eine Weile setzten sie ihren Weg schweigend fort, ehe Gwinbrian weitersprach.
"Umso mehr, da Du keinen Beweis hast. Ich für mein Teil bin geneigt Dir zu glauben. Ein Plan dieser Unverfrorenheit würde zu dem Bastard passen. Aber was willst Du tun? Ihn bei Deinem Vorgesetzten anschwärzen? Man würde Dich hinauswerfen. Nicht einmal mir würde man glauben, selbst wenn ich zu Präfekt del'Udrien ginge."
"Herrin, es gibt nur noch eine Möglichkeit." Gork beschloß, mit der Eiselfin Klartext zu reden. "Es ist mir klar geworden, daß nicht nur ich meinen Kopf verlieren werde, wenn der Umsturzversuch erfolgreich verlaufen sollte. Auch Ihr seid in Gefahr. Was würde wohl ein Präfekt Fingor mit den Angehörigen einer entmachteten Familie tun, die ihn verachtet haben? Ich nehme doch an, daß er weiß, wie Ihr über ihn denkt."
Die elfische Adelige blieb auf dem dunklen Pfad abrupt stehen. Gork hörte, wie hinter ihm eine Waffe gezogen wurde, und fragte sich, ob er zu weit gegangen war.
"Du bist ganz schön unverschämt", zischte die rauchige Stimme der alten Lady.
"Herrin, vergebt mir. Ich bin nur besorgt um Euch." Nunja, jedenfalls fast, setzte der Halbork in Gedanken hinzu.
Auf ein Handzeichen hin wurde die Waffe wieder eingesteckt.
"Wenn ich es hätte einfädeln können, wäre der Bastard schon lange beseitigt", gestand die Elfendame ein, "aber leider ist er schwer zu fassen. Er mag einen niedrigen Rang haben, aber er intrigiert geschickt. Er hat schon einige meiner Verwandten ausgeschaltet, sogar meine Nichte Morwen. Aber all das scheint ihm jetzt nicht mehr zu reichen."
"Wenn er Erfolg hat, werden wir wie Dinchan enden. Wir müssen ihn aufhalten."
"Du unwissender Diener! Ihn aufhalten! Die Operngala ist schon morgen. Was sollen wir da noch ausrichten. Wir sollten besser unsere Flucht vorbereiten." Lady Gwinbrian schritt den Pfad mit festen Schritten entlang,die so gar nicht zu einer alten Dame passen wollten. Unvermittelt sagte sie: "Wenn Du mit mir kommen willst, ich könnte einen so tüchtigen Diener wie Dich auch in der Fremde gebrauchen."
"Herrin, wir müssen nicht aufgeben. Wir könnten versuchen, Fingor auf frischer Tat zu ertappen", wandte Gork ein.
"Du weißt ja nicht einmal, was er vorhat. Und es wird nicht leicht für Dich sein, in das Opernhaus zu gelangen. Es werden Wachen da sein. Und unglücklicherweise stehe ich nicht auf der Gästeliste."
Der Kommissar beschloß, nicht darauf zu antworten. Dieser letzte Fakt wies mit aller Deutlichkeit darauf hin, daß Lady Gwinbrian im Haus Xarinn keinen hohen Rang mehr genoß - falls sie das je getan hatte. Aber er mußte sie dazu bringen, mit ihm gemeinsam zu handeln. Sie war in dieser Situation seine einzige Chance. Morgen würden jede Menge hochrangige Eiselfen in der Oper anwesend sein, die sich einen Dreck darum scheren mochten, was ein Halbork tat oder sagte. Wenn er Gwinbrian dabei hatte, würde man eher auf ihn hören.
Gork beschloß daher, seinen letzten Trumpf auszuspielen. "Es gibt eine Möglichkeit, trotzdem hineinzukommen", sagte er langsam und mit Betonung. "Wenn Ihr es wirklich wollt, Herrin, kenne ich einen Geheimgang..."

© 2003 Diane Neisius


© 1998-2006 Diane Neisius