Rascheln im Gras verrät die zurückkehrenden Jungs, die, mit gedämpften 
Stimmen flüsternd, ihre Angeln vor uns im Schilf kontrollieren. Etwas 
plätschert leise im Wasser, sie kontrollieren dort ihre Geräte, bevor auch 
sie sich auf ihre Warteposten neben mir zurückziehen. Die Thermoskanne
kreist, 
 und mit dem heißen Tee, der in unser Inneres rinnt, werden
auch einige alte Geschichten von vergangenen Fischzügen aufgewärmt.
Aber die Pausen zwischen den gemurmelten Bestätigungen und beinahe
rituell erwiderten uralten Anekdötchen werden länger. Schließlich 
kehrt Ruhe ein. Die Wache hat begonnen. 
Langsam verfärbt sich der Himmel über mir in ein tiefes Tintenblau - 
nun wird der Mond zum herrschenden Licht. Ein Planet, kein Stern, denn das 
Licht funkelt nicht, strahlt im noch dämmerigen Westhimmel, langsam in 
goldenem Glanz der Sonne auf ihrer Bahn folgend. Die Venus, die Schwester 
der Erde, steht dort wieder einmal als strahlender Abendstern, dicht gefolgt 
vom zunehmenden Mond. Beides sind uralte Zeichen im Himmel, fällt mir ein, 
Zeichen von Göttinnen, die dort nebeneinander residieren, und hier, fast 
allein im Angesicht der Nacht, erscheint ihr Zusammenstehen eindrucksvoll,
wirklich wie ein überirdisches Zeichen des Schicksals. Wen wundert es,
daß heute in unseren lichtverseuchten Städten niemand mehr den Blick
zum Himmel hebt, um dergleichen wahrzunehmen, wird es dort doch niemals 
richtig dunkel; und so glaubt auch niemand mehr an Vorzeichen und alte 
Künste, die von den modernen Vernünftigen als Unfug und Einbildung abgetan 
werden, doch in früheren Jahrhunderten muß das menschliche Gemüt noch mehr 
Ehrfurcht im Angesicht solcher auffälligen Konstellationen empfunden
haben.
Endlich erreicht das Dunkelblau auch den Westen, wo die Venus inzwischen 
trübgelb im Dunst versinkt. Die Sterne, bis jetzt nur vereinzelt sichtbar, 
erscheinen nun in größerer Zahl, um mit ihrem vertrauten Blinken die
Schwärze 
 des Nachtsamtes zu durchbrechen.
Der Mond scheint, das Gestirn der Göttin Luna, und sie ist jetzt die Königin 
des Himmels. Ihr Licht taucht das Land in ein trautes Grau, ganz vage sind 
der Wald und die Wiesen in der Ferne noch zu erahnen, beinahe unwirklich wie ein
Feenreich, fern und unerreichbar für einen nächtlichen Wanderer. Die
Lichtstrahlen brechen sich im Spiegel des nun ganz schwarzen Teiches, über 
den der leichte Wind noch immer kleine Wellen treibt. Wie vergossenes Silber 
in kleinen Spritzern glitzert es dort, so schön, so nah und doch so 
unerreichbar.
 
Leichter Dunst umkrönt die Nachtkönigin und hellt, ihr Licht verstreuend,
den Himmel auf, fast in ein Graugrün, wie die Farbe eines zufällig einmal 
zur Ruhe gekommenen stürmischen nördlichen Meeres. Ein Entenpaar flattert 
aufgescheucht als schwarze Silouette über den kalkweiß darin schwimmenden 
Halbkreis hin.
Es ist zunehmender Mond, im ersten Viertel, und die Stimmung ist wie 
verzaubert durch das blasse Licht. Kommen jetzt die Feen hervor, um ihren 
Reigen zu tanzen? Verwundern würde es mich nicht, wenn ich sie jetzt sehen 
könnte, schließlich war ich als Kind ja schon mondsüchtig. Die Wahrnehmung 
ändert sich, mit dem Schwinden der Sehleistung gewinnen andere Sinne die 
Oberhand, werden intensiver, drängen sich in den Vordergrund. Empfindungen 
werden verstärkt für Dinge, die in der Hektik des Tages untergehen. Die 
Sensibilität, die Aufmerksamkeit steigt, Dinge zu bemerken, die sehr zart nur 
erscheinen und doch vielleicht um nichts weniger wirklich sind als wir selbst. 
Hat nicht das Mondlicht bei den großen Leuten seit der Antike schon den Ruf, 
trunken, ja, wahnsinnig zu machen?
Stunden müssen mit meinen träge dahinfließenden Gedanken vergangen sein. 
Die Grille macht eine Pause, was ich erst bemerke, als der Frosch seinen 
quakenden Ruf aus dem Schilf in mein Bewußtsein schickt. Auch der Mond ist dem
schicksalhaften Lauf nach Westen ein ganzes Stück gefolgt. Sein Licht, schon 
mit Gold legiert, schwächt sich ab, und auch der Dunst ist nicht mehr so hell 
erleuchtet.
Langsam schläft nun der Wind ein, macht aus dem Teich einen immer
perfekteren Spiegel des Himmels. Mehr Sterne erscheinen in der jetzt
weiter zunehmenden Dunkelheit; das Land wandelt sich von Grau zu
Schwarz, das unser kleines Lager mehr und mehr wie eine Mauer umgibt, 
undurchdringlich, den Blick in die Ferne verwehrend. Der Frosch, bemerke 
ich, macht immer längere Pausen, er schickt sich an, sich zur Ruhe zu
begeben, 
 ebenso wie die Jungs, die schon längst in dem kleinen
Zeltbahnunterschlupf 
 verschwunden sind, genau wie auch der Mond hinter
Schleiern von Wolken in
 zartem Rosarot den Weg hinter den Horizont sucht.
Alles geht zur Ruhe, alles 
 und alle außer mir, die mit eisernem Willen ganz
allein mit ihren treibenden 
 Gedanken die Nachtwache durchsteht.
Jetzt, fast blind und in der tiefen Nacht in fast völliger Stille,
beginnen die Gerüche stärker in Erscheinung zu treten. Auch ohne das 
Maigrün zu sehen, könnte man die Jahreszeit erraten. Die Luft hat noch
eine gewisse Schärfe und Kühle, einen Geruch nach Erde, die noch nicht
lange der eisigen Klammer des Winters entronnen ist, nicht jenen süßen
Blüten- und Heuduft, nicht die kühl gelinderte Erinnerung an die 
glühende Tageshitze wie die in den kurzen Sommernächten. Nein, es ist 
Mitternacht im Frühling mit seiner hervorbrechenden Lebenskraft, es ist 
Mitternacht im Mai.
Und erst jetzt, nachdem auch der Mond untergegeangen ist, hat der Sternenhimmel 
seine volle Majestät entfaltet, verdoppelt von dem nunmehr völlig ruhigen 
Teichspiegel, erst jetzt hat die Natur ihren tiefsten Frieden erreicht - 
Stille, Schwärze, Kühle. Kein Wind rührt sich mehr, kein Tierchen raschelt 
in der erhabenen Ruhe. Unwillkürlich hebt sich der Blick aus der formlosen 
Finsternis des Bodens hinauf in den Ozean der Nacht.
Der Skorpion regiert nun den Süden, Antares, sein blutrotes Herz, spiegelt
sich vor mir im Teichwasser, und über mir dreht der grosse Sternenwagen seine
endlose Runde um den Polarstern. Wie sie glitzern, die Sterne, wie
unglaublich groß und weit der Weltraum auf einmal aussieht, hier, von 
einem kleinen frierenden Wesen auf der Oberfläche eines Planeten aus
gesehen. Nimmt es wunder, daß die Sterne zu allen Zeiten die Träume,
die Sehnsucht, das Fernweh der Menschen beflügelt haben? Und nicht nur
das, sondern auch die Frage nach unserem Platz in all jener großartigen
Pracht? Die Frage nach dem Woher, dem Wohin? Die Sterne, sie sind auf
ihre Weise Götter, jetzt, dort oben, unerreichbar in ihrer Pracht
glitzernd. Ist nicht jeder in einer solchen Nacht geneigt zu glauben,
daß sie die Antworten auf alle Fragen haben?
Kälter wird die Luft, zerschneidet meine schwebenden Gedanken abrupt, 
Feuchtigkeit kriecht mir entgegen. Leichter Nebel erscheint auf dem schwarzen 
Wasser. Der Frosch erinnert sich meiner wieder einmal, und auch die Grille 
beginnt auf ein Neues ihr einschläferndes Lied zu singen. Die Stunden ziehen 
sich länger, während das Auge, noch immer blind in der Schwärze der Nacht, 
die Spur des erlösenden Morgens erwartet.
Es ist die Zeit, die man gemeinhin wohl als die Hundewache bezeichnet.
Der Tau beginnt zu fallen, es wird ungemütlich kalt, und die Müdigkeit
droht auch die Standhaftesten zu übermannen. Die einsamsten Stunden der
Nacht. Ich erinnere mich, Hemingway hat davon geschrieben, und auch
Saint-Exupery, und ich weiß jetzt, wie ihre Protagonisten, die Soldaten
und Flieger, sich gefühlt haben müssen, allein mit sich, ihren
Gedanken und dem Universum, während der Rest der Welt in mehr oder
weniger traumlosem Schlaf verloren ist. Es sind endlose Stunden in der
Kälte und Nässe kurz vor dem im Moment so unwirklich scheinenden Morgen, 
an dem die Wache einst enden wird, aber sie öffnen die Seele weit und tief.
Gedanken werden gedacht, die so im Tageslicht nicht entstehen, vielleicht 
gar nicht entstehen können, die man nur mitnehmen kann in das kommende 
Licht wie seltenes und merkwürdiges philosophisches Strandgut. Wie meine 
treibenden Betrachtungen über Göttinnen und Sterne und das Universum in
solchen 
 Nächten es regelmäßig sind. Vielleicht sollte ich die
Wahrnehmungen und 
 Gedanken einer solchen Nacht einmal aufschreiben,
überlege ich kurz. Aber wer 
 würde solche Verrücktheiten schon lesen
wollen? Nachdenken über das eigene 
 Nachdenken jetzt, bemerke ich, eine
ganze Spirale der Verückheiten. Ein 
 surrealer Strudel des Wahnsinns, um
diese Nachtzeit? Oder ist es doch nur 
 Müdigkeit? Halt an, denke ich, such
Sinneseindrücke, Ablenkung, doch wo in 
 der Finsternis, ein rettender Blick
zum Himmel ---
 
Und endlich kommt der Moment, in dem das Himmelsschwarz nicht
mehr rein ist.
 Ein leichter Wind setzt ein, diesmal empfindlich kalt, und
treibt die
 aufsteigenden Nebel auseinander. Das dunkle Grau des Himmels
färbt mehr 
 und mehr auf Land und Wasser ab, kaum zu erkennen auf den
flinken Wellen, 
 in denen die verblassenden Sterne gar nicht mehr zu erkennen
sind. Der Wind 
 kündet den Morgen, ist oft zu lesen, aber wer hätte
gedacht, daß dieser 
 kalte feuchte Wind so verheißend sein kann? 
Das Gras
der Wiese wird auch recht 
 klamm, Nässe kriecht von unten in die Stiefel,
wie auch aus der Luft auf mein 
 Gesicht und meine Hände. Ich muß es
ertragen, die Thermoskanne ist längst 
 leer und erkaltet, nutzlos liegt sie
von winzigen Tröpfchen benetzt in der 
 Wiese, aber halb bin ich froh
darüber, daß auch meine Gedanken wieder auf 
 ein erträglicheres Niveau
abgekühlt werden.
 
 Langsam weicht das Grau des Himmels einem dunklen Blau,
in dem die Sterne 
 schon erlöschen. Im Osten ist es heller und wirft einen
bleichen Schein 
 auf das ruhende Land. Es ist noch da, alles, der Wald, die
Wiesen, die 
 zurückweichende Finsternis gibt sie nun wieder preis, sie hat
sie nicht 
 verschlungen, so wie es die überbordende Phantasie angesichts der
 Blindheit der Nacht dem Verstand weismachen wollte. Nun beginnen auch schon 
die ersten Vögel, den dämmernden Tag zu begrüßen. Weit hallt ihr Gesang 
durch das flache, im Zwielicht liegende Tal, und obwohl die ersten hohen 
Stimmchen noch sehr verloren klingen, beschwingen sie doch den müden Körper 
und den überdrehten Geist, die letzten Stunden der Nacht jetzt auch noch 
durchzustehen.
Allmählich schwemmt der östliche Lichtstreifen die Dunkelheit vom Himmel.
Die Farben der Natur werden von Grau unterscheidbar, erwachen zu neuem Leben, 
freudig begrüßt vom lichthungrigen Auge. Ein Streifen Lachs fließt am 
Horizont entlang, davor treibt, graublau, ein dünnes fernes Wolkenstreifchen. 
Der Vögel Gesang ist nun das einzige Geräusch, es vertreibt geradezu die 
drückende Geborgenheit und Stille der ausklingenden Nacht, es weckt die 
müden und steifen Gelenke, die in ungeschickten Bewegungen gelockert werden, 
in halblahmem Umherstapfen bemerken, daß sie noch lebendig sind. Der feuchte,
kalte Morgenwind läßt etwas nach - oder bemerke ich ihn nur weniger durch 
die wärmende Bewegung -, doch treibt er noch immer emsige kleine Wellen den 
Teich entlang.
Das Licht drängt jetzt mit aller Macht. Im Osten spinnen sich Fäden von 
Gold durch den lachsfarbenen Himmel. Kein Baum wirft Schatten in diesem 
morgendlichen Zwielicht. Die Beleuchtung ist seltsam unwirklich, wiederum 
wie schon am Abend zuvor ungewohnt und beinahe wie feenhaft verzaubert. Höher 
und höher steigt der Goldstreifen in den immer heller werdenden hellen
Himmel, 
 und er wird immer blasser in seinem Pastell. Die Farben sind von
einer 
 ungeahnten Intensität nach der Enthaltsamkeit der Dunkelheit. Ist
deshalb 
 auch die Morgenröte von solcher Symbolkraft, Eos, eine weitere
Göttin, frage 
 ich mich, während ich aufschaue. Ein rosafarbenes
Fiederwölkchen schwebt 
 weit über mir.
Schon hat der Himmel Tageshelle erreicht, doch kein Leben rührt sich zu 
dieser frühen Stunde. Einzig die Vogelsymphonie begrüßt das wachsende 
Licht. Fast ist das gespenstischer als die Nacht, heller Tag, etwa so als sei 
der Himmel bewölkt, doch nirgendwo bewegt sich etwas, als ob alle 
Menschen von einer plötzlichen Laune der Natur verschlungen worden seien und 
nur die Wachenden der Nacht allein auf der Erde zurückließen, besungen von 
den weithin hallenden Vogelstimmen als einzigem Geräusch. Ein letztes Mal 
erhebt sich in diesem Gedanken die gereizte Phantasie, bevor sie mit den 
letzten Spuren der Dunkelheit dahinschwindet.
Weiß ist der Nebeldunst im Osten geworden, weiß wie der Nebel, den ich in kleinen Wölkchen ausatme in die frische Morgenluft, und es ist klar, daß die Nacht ihre letzten Minuten durchlebt. Ein letztes Mal hebe ich den Blick in den Himmel, und im hellen Blau über mir sind die kleinen Wolken schon weißgelblich verblaßt, als die Sonne ihr erstes glühendes Gold durch die Nebel auf das ruhende Land ergießt.
© 1988,1998 Diane Neisius. Erstveröffentlichung in: "nocte - Das Nachtmagazin", Göttingen 1998.