"Schönen Tag, Yrkmutis", begrüßte er die fette Orkfrau hinter dem Thresen,
"einmal wie immer bitte."
Das Weib grunzte etwas für Außenstehende Unverständliches und fletschte die
gelben Hauer, ehe sie sich mit dem Messer im hinteren Teil des Ladens zu
schaffen machte. Der Kommissar zog prüfend den Geruch nach verbranntem Fleisch
und ranzigem Fett ein, ehe er dem lärmenden Geschehen auf dem Markt wieder
seinen Blick zuwandte. Es wurde bereits dunkel, und die Händler beschäftigten
sich mitten im Feilschen und Anpreisen damit, Fackeln zu entzünden. Irgendwo
im Gedränge war eine Rauferei im Gange. Die Nacht war hier nichts, weswegen
man nach Hause ging.
Wieder stieß die Orkfrau einen unverständlichen Wortschwall durch die breiten
Zahnreihen, als sie Gork einen in labberige Teigfladen gewickelten
undefinierbaren Klumpen hinhielt. Er fingerte in seinen Taschen nach
Kupfermünzen, um die geforderte Summe auf das Ladenbrett zu werfen und stellte
sich dann ein wenig abseits, um zu essen. Die Fleischtasche war heiß, fettig
und scharf gewürzt, und das Fleisch war wenigstens nicht allzu alt. Scheinbar
gab er sich ganz dem Stillen seines Hungers hin und warf nur hin und wieder
einen beiläufigen Blick in die Umgebung. Doch in Wahrheit wartete er auf etwas
ganz anderes.
"Hallo Bullenschwein."
Eine leise, aber durchdringende Stimme sagte es
direkt neben dem Polizeibeamten. Gork wußte genau, wen sein Blick dort treffen
würde: die schmächtige graue Gestalt eines Mannes, der in bestimmten Kreisen
als Ungwe, dem elfischen Wort für Spinne, bekannt war.
"Sieh an, die Giftspinne. Na so ein Zufall", erwiderte er in in nicht weniger
grobem Tonfall. Nichtsdestoweniger waren die beiden gute Bekannte.
"Du siehst aus, als wärest Du mal wieder auf der Jagd." Die Spinne stellte es
unverblümt lauernd fest. Man kam in dieser Gegend schnell zum Geschäft.
"Och, nicht wirklich. Ich wollte nur mal wieder eine richtige Fleischtasche
essen", log der Kommissar, ehe er geschickt konterte:
"Aber wenn Du schon so damit ankommst, scheinst Du ja was für mich zu
haben."
"Möglich. Kommt drauf an, was," tastete die Spinne vorsichtig die Fäden ab,
ehe sie sich weiter vorwagte. "Es könnte sein, daß ich jemand kenne, der bei
den Bauarbeiten am Opernhaus dabeiwar."
Es erstaunte Gork immer wieder, was für eine Nase der kleine graue Orkmann für
die Fälle hatte, an denen er gerade ein besonderes Interesse hatte.
"Keine große Sache." Seine halborkischen Gesichtszüge zeigten keine Regung.
"Mehr als der übliche Anteil ist nicht drin."
"Komm schon. Du kannst Dir eine Beförderung damit verdienen, das wissen wir
beide." Ungwe grinste frech.
"Also gut, Fünfzehn."
"Zwanzig."
"Hey, ich muß diese Sachen aus eigener Tasche bezahlen. Ich habe eine alte
Mutter zu ernähren." In der Tat lebte Gorks Mutter noch immer hier in
Ithiljar-Ost, und als eine freigelassene Hure im Ruhestand war sie nicht allzu
wohlhabend.
"Ach komm schon, Bulle. Wenn die Dich befördern, kannst Du Dir einen von
diesen kitschigen Elfenpalästen auf der anderen Seite leisten." Der
Spinnenmann fletschte seine spitzen Hauer.
"Du kriegst Achtzehn, und ich habe von der Sache im 'Rentierfurz' nie etwas
gehört, wenn ich gefragt werde." Der Polizist puhlte mit den Fingernägeln
Fleischfetzen zwischen den Zähnen hervor. Hier in der Altstadt konnte man sich
ungezwungen geben.
Spinne spann mit nachdenklichem Blick Gedankenfäden.
"Also gut", murrte er schließlich. "Komm in einer halben Stunde ins
'Banthahorn', da treffe ich den Mann heute Abend."
Gork nickte nur wie beiläufig. Ungwe war schon wieder unauffällig im Gewühl
untergetaucht.
Der halborkische Kommissar hatte es sich an einem der etwas abseits stehenden
Tische im "Banthahorn" gemütlich gemacht und trank langsam sein Bier, dem nur
wenig orkischer Vodka zugesetzt war. Er wartete schon mehr als zwei Stunden,
was nicht ungewöhnlich war, aber es hieß, den Kopf für das kommende Gespräch
klar zu halten.
Hin und wieder wanderte sein Blick hin zur Attraktion des Abends, einer jungen
grünhäutigen Orkbardin, die unter dem Publikum wohl als besonders gutaussehend
galt und dementsprechend die Stimmung in der Taverne anheizte. Ihre mehr
schlecht als recht gestimmte grobgezimmerte Harfe spielte sie zwar falsch,
dafür aber um so lauter, und das Geplärre, mit dem sie gegen das Gröhlen ihrer
Zuhörer anschrie, unterbrach sie nur gelegentlich, um einem allzu
aufdringlichen Verehrer eins mit einem bereitliegenden Knüppel
überzuziehen.
Unvermittelt setzten sich zwei Gestalten an die freien Plätze seines Tisches,
die ihre Gesichter durch zu große dreckige Gugeln zu verbergen suchten. Gork
erkannte die schmächtige Gestalt des einen von beiden trotzdem als seinen
Kontaktmann vom Nachmittag.
"Hallo. Das ist Orkdulf", sagte Ungwe mit kaum verständlicher Stimme. Der
Radau in dem Schankraum würde dafür sorgen, daß das Gespräch keine ungebetenen
Zuhörer hatte.
Der Kommissar wußte genau, daß der Name des Mannes falsch war. Das hier war
kein Ork, auch wenn er sich duckte, um durch seine schlanke Größe nicht
aufzufallen, und seine helle Haut sorgfältig mit Dreck überschmiert hatte.
Zuerst glaubte der Polizist, gar einen der Eiselfen vor sich zu haben,
erkannte dann jedoch, daß es sich um einen jener Menschen handeln mußte, die
schon seit der Zeit vor den strengen Rassengesetzen hier lebten, so daß einige
von ihnen möglicherweise sogar ferne eiselfische Vorfahren hatten. Er mochte
sie nicht. Sie waren anmaßend und überheblich und hielten sich, da die Zahl
der Eiselfen langsam abnahm, für die kommenden und wahren Herren der Stadt.
Ein unauffälliges Bündel wanderte unter dem Tisch in die Hände des
Spinnenmannes, der den Inhalt mit geübten schlanken Fingern betastete, ehe er
seinem maskierten Begleiter zunickte.
"Die Oper", sagte Gork knapp. Sein Gegenüber antwortete schnell und leise,
ohne den Kopf zu bewegen.
"Es gab Unregelmäßigkeiten beim Bau." Der Mann erzählte ein paar allgemeine
Fakten, die der Polizist schon lange kannte. Er hatte Ithiljars Opernhaus an
der Monumentenallee vor den Westbastionen der Zitadelle (also auf der "anderen
Seite", wie man hier sagte), längst selbst besichtigt. Der Bau war ein
häßlicher unvollendeter Klotz, hatte jahrhundertelang als dachlose Bauruine
vor sich hingerottet, ehe Dalon del'Vorond vor zwei Jahren die provisorische
Fertigstellung initiiert hatte. Ursprünglich mit Türmen, Galerien und einer
monumentalen Kuppel geplant, stand da nun eine mit geschmacklosen barocken
Plastiken überladene Marmorkiste, deren im Ansatz eleganter Kuppelsockel
schroff in einem schmucklos-unpassenden improvisierten Flachdach endete. Und
alles nur, damit Dalons Tochter Siria del'Vorond, ein adeliges eiselfisches
Bauerntrampel vom Land, sich bei der Eröffnungsgala einbilden konnte, eine
große Sängerin zu sein. Aber leider hatten sich Gerüchte verdichtet, daß es
bei der Gala einen Vorfall geben werde. Einige der eiselfischen Adeligen
befürchteten ein Attentat, und Siria befand sich in heller Aufregung und
drohte damit, ihren Auftritt abzusagen (sie konnte gut damit drohen, denn ihre
ärgste Konkurrentin Deirdre del'Yngrel war zur Zeit nicht in der Stadt). Alles
in allem rauschte es gewaltig in den Tratschgazetten Ithiljars, und Gork hatte
entschieden, daß der Fall lohnend für sein berufliches Fortkommen werden
könne.
"Ich habe gesehen, wie einer der Vorarbeiter von einem Boten Geld annahm",
sickerten die Worte des Erzählers in das Polizistenhirn. Es wurde langsam
interessant. "Und es war ein offenes Geheimnis unter den Arbeitern, daß die
Baumeistergilde 'Mamurat' reichlich Bestechungsgelder hat fließen lassen, um
den Auftrag zu bekommen. So viel, daß sie an dem Bau nichts mehr verdienen
konnten."
Der maskierte Mann duckte sich tiefer, machte eine Pause, in der wieder das
Gegröhle und ein schrilles Crescendo der orkischen Bardin die Aufmerksamkeit
verlangten.
"Und umso mehr, da sie unverlangte Arbeiten auf eigene Rechnung haben
ausführen lassen. In den alten Marmorsockel und die Fundamente des antiken
Rohbaus haben sie von heimlich herangeschafften Bergleuten Gänge schlagen
lassen..."
Der Erzähler stockte, zuckte hoch, als wolle er aufstehen und gehen, fiel dann
jedoch vornüber auf die Tischplatte. In seinem Rücken steckte ein
Wurfdolch.
Blitzschnell wandte sich Gork ab, kämpfte sich durch die gröhlende
Publikumsmasse aus betrunkenen Orks, die in all dem Radau den Mord gar nicht
bemerkt hatten, zur gegenüberliegenden Tür, an der er eine Bewegung im
Schatten wahrzunehmen geglaubt hatte. Als er auf die Straße hinaustrat, war,
wie erwartet, niemand mehr zu sehen. Die Assassinen von Ithiljar-Ost
verstanden ihr Handwerk im allgemeinen.
Auf dem Weg zur nächsten Wachstation durch die nächtlich-kalte diesige Luft,
die nur hier und da in den engen Gassen durch eine blakende Fackel erhellt
wurde, dachte er nach, was er für sein Geld bekommen hatte, mit dem Spinne
sich beim ersten Aufbäumen des Informanten aus dem Staub gemacht hatte
(wahrscheinlich besaß er bereits ein hieb- und stichfestes Alibi).
Die
Baumeistergilde Mamurat war in die Sache verstrickt. Das war ein Anhaltspunkt.
Und offensichtlich war mehr als vermutet hinter der Sache, denn man hatte sich
immerhin die Mühe gemacht, einen relativ unwichtigen Informanten
auszuschalten. Das roch nach einer Verschwörung im größeren Stil. Mamurat war
eine recht elitäre und abgeschlossene Gilde, die nur rein menschliche
Mitglieder aufnahm, und zwar genau der Sorte, die Gork am wenigsten mochte und
zu der auch der tote Informant gehört hatte. Der Fall schien ein beachtlich
dicker Fisch zu werden.
Am wichtigsten jedoch war die Information über die Geheimgänge. Das
Vorhandensein von Geheimgängen war eine handfeste Tatsache, die sich
überprüfen ließ und die eine offizielle Untersuchung dieser Mamurat-Gilde
rechtfertigte.
Kommissar Gork war zufrieden mit dem Tag. Er hatte eine Spur.