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Ithiljar-Ost: Kommissar Gork ermittelt

Trübgrau hing der Himmel über den hohen filigranen Türmen der Mondzitadelle und entließ einige tänzelnde Schneeflocken in den dämmerigen Oktobernachmittag. Die massige Gestalt des Halborks zog geräuschvoll prüfend die Luft durch die fleischigen Nasenlöcher. Es roch nach strengerem Frost, kein Wunder, die lange Polarnacht stand kurz bevor. Mit einer für Fremde unbeholfen wirkenden Bewegung wandte er sich wieder dem Verkehr auf der Hauptstraße durch Ithiljars Altstadt zu.
Uneingeweihte hätten dem dicklichen Mann in dieser Gegend nur geringe Überlebenschancen eingeräumt, doch Kommissar Gork kannte die unsicheren düsteren Gassen von Ithiljar-Ost nicht nur aus beruflichem Interesse wie seine Hosentasche. Er war in diesem Labyrinth aufgewachsen, war in den chaotisch verbauten Baracken, Hütten, Ställen und Ruinen herumgestromert und hatte um sein Leben kämpfen müssen, noch ehe er Vierzehn war. Deshalb kannte er die Spelunken und Krämer dieses anrüchigen Viertels der Stadt besser als die meisten seiner Kollegen der Zivilpolizei, wußte genau, was für verbotene Genüsse und Dienste in den Hinterzimmern der Tavernen für Eingeweihte erhältlich waren, kannte die zahlreichen trüben Quellen, aus denen er Hinweise für seine Ermittlungen ziehen konnte. Und andererseits war er für das mehrheitlich orkische Gesindel, das die Altstadt bevölkerte, einer von ihnen und konnte sich mithin ungezwungener durch die Gassen bewegen, als dies einem anderen Beamten der Zivilverwaltung möglich gewesen wäre.
Auch heute lenkte er seine Schritte wieder zu seinem bevorzugten Imbiß am unregelmäßig geformten Marktplatz der Altstadt, obwohl seine aktuellen Fälle eigentlich in ganz anderen Stadtteilen lokalisiert waren.
Der Diamantendiebstahl aus dem Schleiferviertel am Lhuntor sah nach einer internen Angelegenheit eines der Adelsclans aus, davon ließ man besser die Finger, wenn man seinen Kopf behalten wollte. Im übrigen war der Xarinn-Clan reich genug, um den Verlust auch eines großen Kristalls verschmerzen zu können. Nein, Gork hatte vor, Informationen über eine andere Sache zu sammeln, an der der Eiselfenadel und die größeren Bürgerclans ein reges Interesse hatten. Wenn er hier positiv auffiel, konnte das einen bedeutenden Einfluß auf seine nächste Beförderung haben.
Er erkannte den vertrauten Umriß seines gewohnten Startpunktes der Ermittlungen nicht nur am Schriftzug "Görk's Örk Döner", der in unordentlichen Buchstaben über die ganze Hausfassade geschmiert war. Das Gebäude hatte als einziges am Marktplatz ein kleines Türmchen, dessen verwitterte marmorne Säulen jetzt durch den eisigen Nebel sichtbar wurden und den lauten und chaotischen Nachmittagsmarkt mit seinen brüllenden und keifenden Orkweibern mit ihrer plärrenden Kinderschar und lauthals feilschenden Trödelhändlern überragte, und dieses Türmchen verriet, wie alt das Haus war, daß es noch aus der Zeit stammte, in der hier Eiselfen gewohnt hatten. Die schlanken und filigranen Elemente waren noch zu erkennen, auch wenn die Bögen von nachfolgenden menschlichen Besitzern mit Kalksteinblöcken zugemauert worden waren, Teile der zusätzlich erstellten eckigen Anbauten schon wieder abgerissen oder eingestürzt waren, mit dunklem Bruchstein und Grassoden weitere Flügeln an- und übergebaut waren. Schließlich hatte der jetzige Besitzer einen Teil der Vorderfassade aufbrechen lassen, um Platz für einen breiten Verkaufsthresen zu schaffen. Die aus der Oberseite der Öffnung ragenden weißen Säulenstümpfe erinnerten Gork an ein Gebiß.

"Schönen Tag, Yrkmutis", begrüßte er die fette Orkfrau hinter dem Thresen, "einmal wie immer bitte."
Das Weib grunzte etwas für Außenstehende Unverständliches und fletschte die gelben Hauer, ehe sie sich mit dem Messer im hinteren Teil des Ladens zu schaffen machte. Der Kommissar zog prüfend den Geruch nach verbranntem Fleisch und ranzigem Fett ein, ehe er dem lärmenden Geschehen auf dem Markt wieder seinen Blick zuwandte. Es wurde bereits dunkel, und die Händler beschäftigten sich mitten im Feilschen und Anpreisen damit, Fackeln zu entzünden. Irgendwo im Gedränge war eine Rauferei im Gange. Die Nacht war hier nichts, weswegen man nach Hause ging.
Wieder stieß die Orkfrau einen unverständlichen Wortschwall durch die breiten Zahnreihen, als sie Gork einen in labberige Teigfladen gewickelten undefinierbaren Klumpen hinhielt. Er fingerte in seinen Taschen nach Kupfermünzen, um die geforderte Summe auf das Ladenbrett zu werfen und stellte sich dann ein wenig abseits, um zu essen. Die Fleischtasche war heiß, fettig und scharf gewürzt, und das Fleisch war wenigstens nicht allzu alt. Scheinbar gab er sich ganz dem Stillen seines Hungers hin und warf nur hin und wieder einen beiläufigen Blick in die Umgebung. Doch in Wahrheit wartete er auf etwas ganz anderes.

"Hallo Bullenschwein."
Eine leise, aber durchdringende Stimme sagte es direkt neben dem Polizeibeamten. Gork wußte genau, wen sein Blick dort treffen würde: die schmächtige graue Gestalt eines Mannes, der in bestimmten Kreisen als Ungwe, dem elfischen Wort für Spinne, bekannt war.
"Sieh an, die Giftspinne. Na so ein Zufall", erwiderte er in in nicht weniger grobem Tonfall. Nichtsdestoweniger waren die beiden gute Bekannte.
"Du siehst aus, als wärest Du mal wieder auf der Jagd." Die Spinne stellte es unverblümt lauernd fest. Man kam in dieser Gegend schnell zum Geschäft.
"Och, nicht wirklich. Ich wollte nur mal wieder eine richtige Fleischtasche essen", log der Kommissar, ehe er geschickt konterte:
"Aber wenn Du schon so damit ankommst, scheinst Du ja was für mich zu haben."
"Möglich. Kommt drauf an, was," tastete die Spinne vorsichtig die Fäden ab, ehe sie sich weiter vorwagte. "Es könnte sein, daß ich jemand kenne, der bei den Bauarbeiten am Opernhaus dabeiwar."
Es erstaunte Gork immer wieder, was für eine Nase der kleine graue Orkmann für die Fälle hatte, an denen er gerade ein besonderes Interesse hatte.
"Keine große Sache." Seine halborkischen Gesichtszüge zeigten keine Regung. "Mehr als der übliche Anteil ist nicht drin."
"Komm schon. Du kannst Dir eine Beförderung damit verdienen, das wissen wir beide." Ungwe grinste frech.
"Also gut, Fünfzehn."
"Zwanzig."
"Hey, ich muß diese Sachen aus eigener Tasche bezahlen. Ich habe eine alte Mutter zu ernähren." In der Tat lebte Gorks Mutter noch immer hier in Ithiljar-Ost, und als eine freigelassene Hure im Ruhestand war sie nicht allzu wohlhabend.
"Ach komm schon, Bulle. Wenn die Dich befördern, kannst Du Dir einen von diesen kitschigen Elfenpalästen auf der anderen Seite leisten." Der Spinnenmann fletschte seine spitzen Hauer.
"Du kriegst Achtzehn, und ich habe von der Sache im 'Rentierfurz' nie etwas gehört, wenn ich gefragt werde." Der Polizist puhlte mit den Fingernägeln Fleischfetzen zwischen den Zähnen hervor. Hier in der Altstadt konnte man sich ungezwungen geben.
Spinne spann mit nachdenklichem Blick Gedankenfäden.
"Also gut", murrte er schließlich. "Komm in einer halben Stunde ins 'Banthahorn', da treffe ich den Mann heute Abend."
Gork nickte nur wie beiläufig. Ungwe war schon wieder unauffällig im Gewühl untergetaucht.

Der halborkische Kommissar hatte es sich an einem der etwas abseits stehenden Tische im "Banthahorn" gemütlich gemacht und trank langsam sein Bier, dem nur wenig orkischer Vodka zugesetzt war. Er wartete schon mehr als zwei Stunden, was nicht ungewöhnlich war, aber es hieß, den Kopf für das kommende Gespräch klar zu halten.
Hin und wieder wanderte sein Blick hin zur Attraktion des Abends, einer jungen grünhäutigen Orkbardin, die unter dem Publikum wohl als besonders gutaussehend galt und dementsprechend die Stimmung in der Taverne anheizte. Ihre mehr schlecht als recht gestimmte grobgezimmerte Harfe spielte sie zwar falsch, dafür aber um so lauter, und das Geplärre, mit dem sie gegen das Gröhlen ihrer Zuhörer anschrie, unterbrach sie nur gelegentlich, um einem allzu aufdringlichen Verehrer eins mit einem bereitliegenden Knüppel überzuziehen.
Unvermittelt setzten sich zwei Gestalten an die freien Plätze seines Tisches, die ihre Gesichter durch zu große dreckige Gugeln zu verbergen suchten. Gork erkannte die schmächtige Gestalt des einen von beiden trotzdem als seinen Kontaktmann vom Nachmittag.
"Hallo. Das ist Orkdulf", sagte Ungwe mit kaum verständlicher Stimme. Der Radau in dem Schankraum würde dafür sorgen, daß das Gespräch keine ungebetenen Zuhörer hatte.
Der Kommissar wußte genau, daß der Name des Mannes falsch war. Das hier war kein Ork, auch wenn er sich duckte, um durch seine schlanke Größe nicht aufzufallen, und seine helle Haut sorgfältig mit Dreck überschmiert hatte. Zuerst glaubte der Polizist, gar einen der Eiselfen vor sich zu haben, erkannte dann jedoch, daß es sich um einen jener Menschen handeln mußte, die schon seit der Zeit vor den strengen Rassengesetzen hier lebten, so daß einige von ihnen möglicherweise sogar ferne eiselfische Vorfahren hatten. Er mochte sie nicht. Sie waren anmaßend und überheblich und hielten sich, da die Zahl der Eiselfen langsam abnahm, für die kommenden und wahren Herren der Stadt.
Ein unauffälliges Bündel wanderte unter dem Tisch in die Hände des Spinnenmannes, der den Inhalt mit geübten schlanken Fingern betastete, ehe er seinem maskierten Begleiter zunickte.
"Die Oper", sagte Gork knapp. Sein Gegenüber antwortete schnell und leise, ohne den Kopf zu bewegen.
"Es gab Unregelmäßigkeiten beim Bau." Der Mann erzählte ein paar allgemeine Fakten, die der Polizist schon lange kannte. Er hatte Ithiljars Opernhaus an der Monumentenallee vor den Westbastionen der Zitadelle (also auf der "anderen Seite", wie man hier sagte), längst selbst besichtigt. Der Bau war ein häßlicher unvollendeter Klotz, hatte jahrhundertelang als dachlose Bauruine vor sich hingerottet, ehe Dalon del'Vorond vor zwei Jahren die provisorische Fertigstellung initiiert hatte. Ursprünglich mit Türmen, Galerien und einer monumentalen Kuppel geplant, stand da nun eine mit geschmacklosen barocken Plastiken überladene Marmorkiste, deren im Ansatz eleganter Kuppelsockel schroff in einem schmucklos-unpassenden improvisierten Flachdach endete. Und alles nur, damit Dalons Tochter Siria del'Vorond, ein adeliges eiselfisches Bauerntrampel vom Land, sich bei der Eröffnungsgala einbilden konnte, eine große Sängerin zu sein. Aber leider hatten sich Gerüchte verdichtet, daß es bei der Gala einen Vorfall geben werde. Einige der eiselfischen Adeligen befürchteten ein Attentat, und Siria befand sich in heller Aufregung und drohte damit, ihren Auftritt abzusagen (sie konnte gut damit drohen, denn ihre ärgste Konkurrentin Deirdre del'Yngrel war zur Zeit nicht in der Stadt). Alles in allem rauschte es gewaltig in den Tratschgazetten Ithiljars, und Gork hatte entschieden, daß der Fall lohnend für sein berufliches Fortkommen werden könne.
"Ich habe gesehen, wie einer der Vorarbeiter von einem Boten Geld annahm", sickerten die Worte des Erzählers in das Polizistenhirn. Es wurde langsam interessant. "Und es war ein offenes Geheimnis unter den Arbeitern, daß die Baumeistergilde 'Mamurat' reichlich Bestechungsgelder hat fließen lassen, um den Auftrag zu bekommen. So viel, daß sie an dem Bau nichts mehr verdienen konnten."
Der maskierte Mann duckte sich tiefer, machte eine Pause, in der wieder das Gegröhle und ein schrilles Crescendo der orkischen Bardin die Aufmerksamkeit verlangten.
"Und umso mehr, da sie unverlangte Arbeiten auf eigene Rechnung haben ausführen lassen. In den alten Marmorsockel und die Fundamente des antiken Rohbaus haben sie von heimlich herangeschafften Bergleuten Gänge schlagen lassen..."
Der Erzähler stockte, zuckte hoch, als wolle er aufstehen und gehen, fiel dann jedoch vornüber auf die Tischplatte. In seinem Rücken steckte ein Wurfdolch.
Blitzschnell wandte sich Gork ab, kämpfte sich durch die gröhlende Publikumsmasse aus betrunkenen Orks, die in all dem Radau den Mord gar nicht bemerkt hatten, zur gegenüberliegenden Tür, an der er eine Bewegung im Schatten wahrzunehmen geglaubt hatte. Als er auf die Straße hinaustrat, war, wie erwartet, niemand mehr zu sehen. Die Assassinen von Ithiljar-Ost verstanden ihr Handwerk im allgemeinen.

Auf dem Weg zur nächsten Wachstation durch die nächtlich-kalte diesige Luft, die nur hier und da in den engen Gassen durch eine blakende Fackel erhellt wurde, dachte er nach, was er für sein Geld bekommen hatte, mit dem Spinne sich beim ersten Aufbäumen des Informanten aus dem Staub gemacht hatte (wahrscheinlich besaß er bereits ein hieb- und stichfestes Alibi).
Die Baumeistergilde Mamurat war in die Sache verstrickt. Das war ein Anhaltspunkt. Und offensichtlich war mehr als vermutet hinter der Sache, denn man hatte sich immerhin die Mühe gemacht, einen relativ unwichtigen Informanten auszuschalten. Das roch nach einer Verschwörung im größeren Stil. Mamurat war eine recht elitäre und abgeschlossene Gilde, die nur rein menschliche Mitglieder aufnahm, und zwar genau der Sorte, die Gork am wenigsten mochte und zu der auch der tote Informant gehört hatte. Der Fall schien ein beachtlich dicker Fisch zu werden.
Am wichtigsten jedoch war die Information über die Geheimgänge. Das Vorhandensein von Geheimgängen war eine handfeste Tatsache, die sich überprüfen ließ und die eine offizielle Untersuchung dieser Mamurat-Gilde rechtfertigte.

Kommissar Gork war zufrieden mit dem Tag. Er hatte eine Spur.

© 2001 Diane Neisius



© 1998-2006 Diane Neisius