Der Wind heulte um das Gebäude und pfiff durch die Ritzen des kleinen Fensters
selbst in den muffigen Kellerverschlag, der Kommissar Gork als Büro diente. Es
war nunmehr, kurz vor dem Fest der schwachen Sonne, zu jeder Tageszeit sehr
kalt und dunkel, und zu allem Überfluß hatte sich der kalte Polarwind in den
letzten Tagen zu einem ausgewachsenen Wintersturm entwickelt. Mehr noch, der
schneidende Luftstrom führte Myriaden winzigster Eiskristalle mit, die auch
durch die kleinste Öffnung eindrangen und dazu führten, daß Räume, Kleidung
und Gliedmaßen sich selbst dann klamm anfühlten, wenn sie ausreichend geheizt
wurden.
Gork brummte und wickelte sich fester in seine dicke Felldecke ein, ehe er die
kleine blakende Tranfunzel näher zu sich heranzog. Bei solchem Wetter war es
gut, wenn man nicht draußen zu tun hatte, obwohl es für die Zivilpolizei nicht
viele Pflichten gab. Selbst Ganoven und Verschwörer blieben bei diesem Sturm
lieber zu Hause.
Der Halbork ging wieder und wieder seine Notizen durch, während er sich die
gefühllosen kalten Ohrenspitzen rieb. Eigentlich war die Kälte gut, wenn man
nachdenken mußte, sie half, einen klaren Kopf zu behalten. Aber irgendwie
wollten die Puzzleteile des Rätsels, das er zu lösen hatte, nicht recht
zusammenpassen.
Was er bisher erfahren hatte, sah auf den ersten Blick überzeugend aus. Eine
Gruppe von Verschwörern, soviel wußte er, plante während des Festes der
schwachen Sonne zum Mittwintertag einen irgendwie gearteten Anschlag bei der
Gala zur Eröffnung des Opernhauses von Ithiljar. Zweck des Anschlages war, die
herrschenden Adelsclane abzusetzen und die Macht an eine Person zu übertragen,
die sich der Unterstützung des Inquisitionsordens der Eiselfen versichert
hatte. Man hatte sich zu diesem Zweck auch der ansässigen Baumeistergilde
Mamurat versichert, die einen Geheimgang im Opernhaus angelegt hatte, der vom
Keller bis direkt hinter die Adelslogen führte und für ein Attentat oder
dergleichen wie geschaffen war.
Soweit, so gut das grobe Bild. Doch wenn Gork versuchte, in diesen Rahmen
weitere Details einzupassen, gab es Widersprüche. Wer war der
geheimnisvolle Unbekannte mit der sanft-heiseren Stimme, der hinter all dem
steckte? Es mußte jemand sein, der in einer Machtposition saß, durch die er
unbeschränkt an Informationen herankam. Jemand, der auch Zugang zu den Interna
der adeligen Eiselfenclans hatte und diese in Skandale umzumünzen verstand,
der möglicherweise genug Informationen sammeln konnte, um einen oder mehrere
Clans zu diskreditieren.
Der Zivilpolizist blies sich in die frierenden Hände und rieb sich die Finger.
Wieder jaulte draußen eine Windbö; der Zug ließ die Tranfunzel auf seinem
Schreibtisch leicht flackern.
Es war vertrackt. Niemand außer den Adeligen selbst oder hohen Ordens- oder
Armeedienststellen konnte solche Informationen besitzen. Die Armee hatte Gork
überprüft, es gab keine Hinweise, daß die Legion etwas anderes tat, als in der
Zitadelle der Stadt ihrem Routinedienst nachzugehen. Und in Ithiljar waren
selbst die führenden Ordensbeamten meist Einheimische, die das Patronat eines
Adeligen genossen oder mit einem der Clans verwandt waren. Einige der ganz
wenigen Ausnahmen, hierherversetzte Beamte, hatte Gork ebenfalls überprüft;
die meisten waren vor kurzem degradiert worden, was bedeutete, daß sie hierher
strafversetzt und damit machtlos waren. Die einzige Ausnahme davon
bildete Inquisitor Morfindel vom Cuel Ancar, aber um dessen Verwicklung in die
Verschwörung wußte der Kommissar ja schon. Und er war nicht der
Hintermann.
Und das konnte nur bedeuten, daß der große Unbekannte aus einem der Adelsclane
stammte. Aber da lag genau der Widerspruch: ein Adeliger würde doch nicht
einen Putsch anzetteln, der die adeligen Eiselfenclans entmachtete und sich
damit selbst ins Abseits schieben. Und der Cuel Ancar half doch sicher nicht
dabei, den Adel zu entmachten, um dann wiederum einen einheimischen Adeligen
auf den Thron des Präfekten zu hieven? Das ergab alles keinen Sinn.
Der halborkische Polizist seufzte tief in seinem eisigen unaufgeräumten Büro.
Er kam einfach nicht weiter, wie er seine Informationen auch zusammensetzte.
Leider lief ihm auch die Zeit davon, denn schon in wenigen Tagen war
Mittwinter, der Termin des geplanten Umsturzes. Doch hatte er bisher außer dem
Geheimgang keinen Beweis, daß etwas Ungewöhnliches bevorstand, und keinem der
Verschwörer konnte er konkret beweisen, bei dem heimlichen Treffen in der
Ruine gewesen zu sein.
Er hatte fast nichts, kam nicht weiter und die Zeit lief davon. Was Gork jetzt
dringend brauchte, war eine kurze Ablenkung, die seine kreisenden Gedanken aus
den eingefahrenen Gleisen reißen konnten.
Um es deutlich zu sagen, brauchte er ein Besäufnis mit seinem Freund
Wushtor.
"Na sowas", staunte Wushtor, der orkische Söldnerleutnant nicht schlecht, als
er in dem dickvermummten Fellbündel, das in der Tür seines Hauses mit einem
Fäßchen unter dem Arm und den Stiefeln in der Hand stand, seinen halborkischen
Freund erkannte.
"Kommen rein, komm rein", winkte er, denn der schneidende Wind wirbelte
winzige Eiskristalle in den Raum, die gegen den neben der Tür befindlichen
Ledervorhang prasselten.
Gork schlurfte auf Socken in die niedrige Erdhütte. Er stellte die Stiefel
direkt neben dem Abfallhaufen ab, der in der Nähe der Tür lag. "Tut mir leid,
deswegen", brummelte er unter seiner Vermummung hervor, "die Bediensteten der
Yngrel müssen eine Herde Banthas zu den Stallungen in der Stadt getrieben
haben. Der ganze Viehmarkt liegt voller Dunghaufen."
"Das macht nichts", antwortete der Ork, "bei Westwind zieht ohnehin der
Gestank der Gerbereien hierher. So oder so haben wir den Muff im Haus."
Umständlich wickelte sich der Besucher aus seiner dicken Fell- und
Deckenverpackung und rieb sich die halberfrorene Nase, ehe er das kleine
Fäßchen orkischen Vodka auf den einzigen Tisch in der Behausung des Leutnants
stellte.
"Hab was zu trinken mitgebracht", sagte er nur knapp.
Wushtor kannte den Kommissar gut genug, um zu wissen, was das bedeutete.
"Ärger bei der Arbeit?", fragte er mitfühlend.
"Ich komm in meinem Fall nicht voran. Bitte laß uns nicht drüber sprechen",
erwiderte Gork nur knapp.
"Sicher. Setz Dich doch erstmal." Der orkische Söldner räumte rasch einige
Kleidungsstücke von den niedrigen Hockern, die ihm als Sitzgelegenheiten
dienten.
"Und wie gehts Dir so? Hast Du meine Mutter nochmal besucht?", fragte der
Halbork schließlich, als beide bequem mit ihren Bechern saßen und er an dem
Verschluß des Fäßchens zu hantieren begann.
"Ja. Ich treffe mich morgen mit Wurklinde."
"Oho! War das vor zwei Wochen nicht schon wieder ein anderer Name? Du bist ja
ein Schwerenöter", grinste der Besucher.
"Mit Wurklinde ist das was anderes", erklärte der Söldnerleutnant, "weißt Du,
die anderen sind nach ein paar Tagen zickig geworden. Aber sie ist so..."
"Scheint ja was Ernstes zu sein", vermutete Gork und goß die Tonbecher
voll.
"Dann auf Deine Süße."
"Sdrovje."
"Wie ist sie denn so?", fragte der halborkische Zivilpolizist nach einem
großen Schluck Vodka. Er war wirklich neugierig und erkundigte sich nicht nur,
um seine Arbeit zu vergessen.
"Wie soll sie schon sein", wich der Gastgeber aus und stocherte in den
brennenden Klumpen Rentierdung in dem offenen Herd, obwohl das Feuer
ordentlich geschichtet war und kaum qualmte.
"Na komm schon. Wie sieht sie aus, und so weiter. Du weißt schon."
Wushtor bekam einen verträumten Blick. "Ach weißt Du... sie hat ganz glatte
hellbraune Haut und einen langen schwarzen Zopf. Und ihre Hauer... ganz
gleichmäßig gekrümmt und zartgelb. Sie sieht wirklich gut aus."
"Und sonst?", bohrte Gork weiter. "Gute Figur?"
"Och ja..."
Der Ork deutete mit den Händen einen Umriß an.
"Na hallo... das muß ja ein Goldkind sein, daß Du Dir da geangelt hast."
"Sie ist wirklich was Besonderes. Nicht zänkisch, und sie macht mir keine
Vorschriften. Ganz anders als die anderen, die ich bei Deiner Mutter
kennengelernt habe", erklärte der Söldner.
"Scheint fast, als seiest Du ein bißchen verliebt", bemerkte der Kommissar und
nahm einen weiteren Schluck.
"Ach was!"
"Naaaa...", stichelte Gork weiter, "und wie oft habt ihr euch schon
gesehen?"
"Leider nicht so oft letzte Woche. Es gab Ärger im Palast", erklärte der
Leutnant, der beim eiselfischen Xarinn-Clan in Sold stand, "ich hatte oft
Sonderdienst, wir hatten Befehl, doppelte Wachen zu stellen."
"Nanu, das kommt doch sonst nicht vor. Werden eure Elfen wegen der Aufregung
in der Stadt nervös?"
"Nein, nein, das kümmert bei uns niemand", antwortete Wushtor, "einer unserer
Bediensteten ist überfallen worden."
"Seit wann kümmert das einen von denen, was mit Dienern ist?" Der Halbork
runzelte die Stirn.
"Es war einer von den höhergestellten Dienern. Ein Elf. Niemand legt sonst
Hand an so jemand aus dem Clangefolge."
Gork wurde plötzlich hellhörig. "Vielleicht hat er sein Abzeichen nicht
getragen", vermutete er.
"Er sagte schon. Allerdings hatte er es nicht mehr bei sich. Jemand hatte ihn
komplett ausgeraubt, Wertgegenstände, Schmuck, alles. Und dann ist er immer
schwächer geworden und nach ein paar Tagen gestorben. Die Heiler konnten ihm
nicht mehr helfen."
"Seltsam...", sinnierte der Polizist, dem plötzlich ein schlimmer Verdacht
kam, "wo soll denn das passiert sein?"
"Angeblich ist er in der Nähe der südlichen Bresche niedergeschlagen worden
und konnte sich an nichts weiter erinnern." Der orkische Leutnant räusperte
sich. "Weißt Du was über die Sache?"
"Nein, nein", log Gork, "ich frag nur so. Lohnt sich vielleicht, sich dort mal
unter dem Gesindel umzuhören. Wer ist schon so blöd, einen Clanbediensteten
auszurauben."
"Die alte Lady könnte das interessieren", bemerkte der Söldnerleutnant.
Der Kommissar trank schweigend aus seinem Becher. Sicher würde sie das, dachte
er beiläufig, aber dieses kleine Detail werde ich ihr sicher nicht
erzählen.
Während der Schlafenszeit war der Sturm glücklicherweise abgeflaut, und es war
windstill und sternklar geworden. Gork hatte daher beschlossen, Feldwebel
Gurkhart
am nahe bei Wushtors Hütte gelegenen Moras-Tor einen Besuch abzustatten,
nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Zwar war der Feldwebel nicht im
Dienst, aber seine Männer kannten den Kommissar und ließen ihn trotzdem zu
seinem bevorzugten Aussichtspunkt auf der Stadtmauer Ithiljars hinauf.
Da stand er nun also, lehnte sich vorsichtig an eine der Zinnen und rieb sich
die verschwollenen Augen. Er mußte vosichtig sein, durfte den weißen Stein
nicht mit der bloßen Haut berühren, da er bei dem starken Frost sonst
unweigerlich kleben geblieben wäre.
Müde blickte er über die Tundra vor den Toren der Stadt, die weißüberkrustet
durch den starken Sturm der vergangenen Tage war. Die feinen Eiskristalle
glitzerten im Licht das zunehmenden Mondes, der tief im Südwesten zwischen den
unbarmherzig funkelnden Sternen stand und sein Silber über die gefrorene
Landschaft ausgoß. Nach dem Mondstand mußte es also ungefähr Mittag sein.
Der Halbork überlegte sich, daß er unglaubliches Glück gehabt hatte. Wushtor
hatte ihm unwissentlich einen wichtigen Hinweis gegeben. Der unbekannte
Verschwörer, den er jagte, mußte tatsächlich zum Adelsclan Xarinn gehören.
Eine Weile überlegte Gork, ob womöglich Lady Gwinbrian ein doppeltes Spiel mit
ihm spielte. Aber er verwarf den Gedanken. Die Elfin verstand sich als
Künstlerin, soviel hatte er verstanden, als sie so leichthin über die
entsetzliche Abschlachtung Baumeister Dinchans geplaudert hatte. Und welcher
Künstler würde schon absichtlich ein "Werk" ruinieren, nur um jemand
Ungebildeten wie ihn irrezuführen? Sicher kein adeliger Künstler.
Der Polizist stieß dichte Atemwolken in die tiefgekühlte dunkle Luft aus, die
seinen Kopf so wunderbar befreite. Er versteckte die schutzlosen Hände wieder
sicher unter den vielen Lagen der Decken und Felle, die er zum Schutz vor der
Kälte trug.
Nein, er war sich sicher, daß Lady Gwinbrian nicht Katz und Maus mit ihm
spielte. Allerdings, wenn der Hintermann der Verschwörung zum Xarinn-Clan
gehörte, konnte Gork nicht viel mehr tun, als sie um Hilfe zu bitten. Er hatte
als Beamter der Zivilverwaltung keine Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb
eines der adeligen Eiselfenclans zu führen, die immerhin die Macht in dieser
Stadt und der Provinz innehatten. Weder offiziell noch inoffiziell konnte er
das. Er mußte die alte Eiselfin einweihen.
Der Halbork wandte sich ab und ging in Richtung der Treppe. Auf dem Weg
passierte er eine der orkischen Stadtwachen, der er knapp zunickte. Diese
Geschichte war so heikel, daß er ganz sicher nicht dem Sekretär der Lady davon
erzählen würde. Gork überlegte, wie er sie dazu bringen konnte, sich
persönlich mit ihm zu treffen. Wenn sein Gegenspieler sich wirklich im Haus
Xarinn befand, konnte es das Todesurteil des Kommissars sein, wenn der falsche
Diener Wind von der Sache bekam.
Während er langsam die Wendeltreppe hinabschritt, dachte Gork daran, daß seine wichtigste Aufgabe jetzt war, zu lernen, wie man einer adeligen Eiselfendame auf die richtige Weise einen Brief schrieb.