Ich hatte mindestens einen halben Standardtag mit zerbröckelnden Kabeln,
ausgebrannten Nanochips und uralten Schaltfeldern herumgebastelt, Technik, die
ich höchstens aus Museumsvitrinen gekannt hatte, ehe die Konsole wieder das
erste klägliche Piepen von sich gab.
"Große Gerechtigkeit", schnaufte ich entnervt, "wie alt ist dieses Wrack denn
eigentlich?" Das Bild auf dem großen Schirm flackerte und sprang um auf eine
Vergrößerung. In mehreren der Nachbarkonsolen zuckten schwache Lichter, müdes
rötliches Blinken, das den Ausfall der meisten Schiffssysteme zu signalisieren
suchte.
"Ich mußte den Hauptdatenstrang anzapfen und eine Schnittstelle
implementieren", erklärte ich nicht ohne Stolz, während ich mich aufrichtete,
"das war gar nicht so einfach, die meisten Stränge leiden schon an
Rekristallisationserscheinungen. Unglaublich eigentlich, bei diesen niedrigen
Temperaturen. Na, jedenfalls habe ich einen Ersatzteil-Quantenprozessor
eingesetzt, der jetzt die Signalsteuerung emuliert. Und das ohne
Servicedateien."
"Jaja", bemerkte die Frau abwesend, während sie sich über die Sensorfelder
beugte. Es knackte protestierend in dem verrotteten Sitzpolster unter ihr.
"Du bist ja unglaublich beeindruckt", murmelte ich verstimmt und wandte mich
ab.
"Julian, ich hätte Dich nicht erwählt, wenn ich nicht gemerkt hätte, daß Du gut
bist." Nach einer kleinen Pause reichte sie mir einen kleinen zylinderförmigen
Gegenstand und sagte knapp: "Das ist für Dich."
Noch ehe ich den Behälter überhaupt berührte, spürte ich auf merkwürdige Weise,
was er enthielt, wußte, wie die dicke dunkelrote Flüssigkeit riechen würde,
wenn ich ihn öffnete, fühlte die Gier und den Hunger in mir aufsteigen.
Ohne es zu wollen, fauchte ich beinahe wie ein wütender Kazinn-Krieger, stieß
mit der Zunge gegen die noch immer ungewohnt langen und spitzen Eckzähne in
meinem Oberkiefer. Heftig griff ich nach der Blutkonserve.
Meine Mutter lächelte nur dünn. Und wissend.
Das ist lebendes Blut, dachte ich, während es durch meine Kehle strömte, oh
Gerechtigkeit, ich möchte lieber gar nicht wissen, ob es hier irgendwo noch
eine funktionierende Medizinische Station mit Tiefkühlkammern gibt oder ob das
wirklich schwache Signale von Lebensformen waren, die ich in der Hecksektion
des zerstörten Schiffes geortet hatte, ehe ich andockte. Vorher, als dieses
Wesen noch nicht meine Mutter gewesen war.
"Ah, endlich."
Meine Aufmerksamkeit wandte sich wieder ihr zu.
"Sieh mal, das ist Ganea Sigma 5", wies sie auf den Schirm, der nun mit starker
Vergrößerung eine winzige blauweiße Sichel zeigte, und erklärte beiläufig:
"Eine Welt, die sehr geeignet ist für unser Vorhaben. Politisch selbstständig,
technologisch hoch, aber nicht zu hoch entwickelt und mit einem ausreichenden
Forschungstrieb. Dahin lasse ich uns schon seit langem treiben."
"Was haben wir denn vor?", fragte ich vorsichtig.
"Wir werden und von ihnen entdecken lassen", erklärte die schlankgliedrige Frau
mit selbstzufriedenem Lächeln, "die werden begeistert sein über ein so
aufregendes Fundstück wie dieses Schiffswrack."
"Na, ich weiß nicht. Werden die uns nicht für Raubtiere oder so halten?" Ich
dachte unbehaglich an die intensiven Gefühle, die mich beim Trinken gerade eben
durchflossen hatten und die mit Sicherheit nur schwer zu beherrschen waren,
Gier und der Instinkt zu überleben.
Das Wesen, das ich "Mutter" nannte, erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung
aus dem zerfallenen Sitz.
"Wer sagt, daß die am Anfang überhaupt merken, was sie sich da eingefangen
haben?", spottete sie kaum merklich, "wir werden auf ihrer Welt untertauchen
und im Verborgenen wirken. Sieh uns doch einmal an. Ich könnte eine
gewöhnliche, früh gealterte Menschenfrau oder eine Psionikerin sein. Du siehst
aus wie jeder andere Ktaphianer in Deinem Alter. Nun gut, Du solltest Dir
vielleicht angewöhnen, nicht zu heftig zu gähnen oder zu lachen, damit niemand
Deine Fänge sieht. Auf den meisten Welten gibt es immer noch Legenden über
uns."
"Ich habe noch nie von etwas wie Dir gehört", bemerkte ich.
"Die Legenden sind menschlichen Ursprungs. Wie ich. Du bist Ktaphianer. Bei
euch wie bei den meisten anderen Rassen scheint sich das Phänomen nie von sich
aus entwickelt zu haben. Obwohl wir das Blut aller anderen trinken können."
"Ich nehme an, Du hast... probiert", vermutete ich vorsichtig.
"Natürlich", sagte die Frau in dem zerschlissenen schwarzen Gewand, "sie sind
alle verträglich. Nur Kazinn schmecken ein bißchen eigenartig. Und es ist
möglich, die Saat an euch weiterzugeben, wie Deine Existenz beweist." Die noch
immer schwach blinkenden Statusanzeigen tauchten ihr blasses Gesicht in ein
fremdartig dämmerigrotes Lichterspiel.
"Und wir sollen jetzt also jahrhundertelang da leben und Leute umbringen, um
ihr Blut zu bekommen?" Mit heftiger Geste wies ich auf die in der Unendlichkeit
des Alls schimmernde kleine blaue Planetensichel auf dem altersschwachen
Bildschirm.
"Ach Julian." Die Stimme der schlanken Frau, die mich um Haupteslänge
überragte, klang ein wenig tadelnd. "Du mußt sie nicht töten. Du wirst noch
lernen, nur soviel zu nehmen, daß sie sich davon erholen. Sonst werden sie zu
schnell bemerken, daß wir da sind, und uns bekämpfen. Und obwohl unsere Körper
nur schwer ernstlich zu verletzen sind, heißt das nicht, daß man uns nicht
vernichten kann. Sie können es und werden es herausfinden, wie, wenn wir sie
dazu zwingen."
"Also, wir werden jahrhundertelang da leben und Leute zur Ader lassen",
korrigierte ich meine eben geäußerte Vermutung.
"Julian, ich hätte nicht gedacht, daß Du so schwer von Begriff bist." Das
glatte junge Gesicht mit den uralten dunklen Augen musterte mich. Schließlich
setzte sie zu einer längeren Erklärung an.
"Vielleicht ist der Begriff nicht wirklich passend, aber aber auch wir sind auf
unsere Weise eine Art von Lebensform. Und jede Lebensform hat die Neigung,
sich auszubreiten."
Sie neigte in einer merkwürdigen Bewegung den Kopf zur Seite und griff an das
sichelförmige Amulett, das sie auf der Brust ihres fließenden schwarzen
Gewandes trug, drehte sich zur Seite und sprach in die Leere der zerbröckelnden
und verstaubten dunklen Kommandobrücke. Plötzlich wirkte sie fremd, wie aus
einer fernen Zeit hierher versetzt.
"Wir werden auf Ganea die Saat weitergeben", erklärte sie, "wir werden weitere
Kinder haben, so wie Du mein Sohn geworden bist. Und ich werde aller Mutter
sein. Die Mutter, der alle bedingungslos durch die Kraft des Blutes ergeben
sind wie Du mir schon jetzt. Wir werden auf diese Weise die politische
Führungsebene des Planeten unterwandern und ihn so im Verborgenen
kontrollieren. Und dann wird die Raumfahrtindustrie für uns Schiffe
produzieren, auf denen meine Kinder sich weiter ausbreiten können, weitere
Welten auf die gleiche Weise infiltrieren können. Und während der ganzen Zeit
wird die restliche Bevölkerung des Planeten uns ernähren."
"Das klingt kühn", erwiderte ich mit Bestürzung, "Du willst also ein Reich
errichten. Na gut, Wesen wie wir" - ich stockte kurz bei diesem Wort - "sind
vielleicht schwer zu vernichten und geben aus diesem Grund furchterregende
Krieger ab. Und hinterhältigere Infiltratoren als Psioniker durch die Kraft des
Blutes. Du willst also mit Gewalt und Hinterlist Deine Herrschaft in diesem
Teil der Galaxis errichten. Wenn das alles auch so klappt, wie Du Dir das
vorstellst."
Die weißhaarige Frau lachte. Zum erstenmal sah ich in ihrem Gesicht die
gelblichen Fänge, die mir mein Leben und mein Blut genommen hatten.
"Glaub mir, es würde klappen. Ich habe auf diese Weise geherrscht, genau so,
über die Domäne Hyades. Offiziell war ich nur die Konkubine des Vizekönigs,
aber ich war die Macht hinter dem Thron. Ich hatte alles, was ich wollte, und
habe begriffen, daß Macht nicht wirklich von Wichtigkeit ist. Sie bedeutet
genausowenig wie Reichtum oder Ruhm. Ich hatte alles das, vor und nach Hyades,
ich war schon Füstin, genauso wie ich auch Sklavin war. Glaub mir, alles, was
wirklich zählt, ist Überleben, wenn man in langen Zeiträumen denkt."
"Ich habe nie von Hyades gehört", antwortete ich argwöhnisch. Ich wußte nicht
recht, ob ich ihr glauben sollte.
"Die Domäne bestand zu der Zeit, als die Menschenreiche geeint wurden", sagte
sie leichthin, "und damals bestand euer Konsulat auch noch."
"Das Konsulat." Mir schwindelte etwas. Das Ktaphianische Konsulat, das
verlorene Reich meiner Rasse, war ein beinahe mythologisches Gebilde aus grauer
Vorzeit, von dem heutzutage nicht einmal mehr bekannt war, wie lange es
überhaupt bestanden hatte und das vor über tausend Jahren untergegangen war.
Plötzlich paßte alles zusammen, die Art, in der diese Frau sich bewegte, die
Gelassenheit, mit der sie über Macht und Ruhm sprach und sie geringschätzte,
die Fremdartigkeit, die manchmal so auffällig an ihr war. Sie mußte
Jahrhunderte erlebt, durchlebt haben.
"Mutter, wie alt bist Du", flüsterte ich tonlos. Der Respekt, die Beklemmung
angesichts meiner Erkenntnis verschlug mir beinahe die Sprache.
"Ich war schon alt, als die ersten Kolonistenschiffe vom Ursprungsplaneten der
Menschheit aufbrachen", bemerkte sie leichthin.
Jahrhunderte, dachte ich, während sich in meinem Kopf alles zu drehen schien,
nein, eher Jahrtausende.
"Ich sagte doch, ich hatte so ziemlich alles, was man erreichen kann, habe es
verloren und wiedergewonnen und seine Bedeutungslosigkeit erkannt." Die dunklen
Augen schienen mich aufzusaugen. "Und deswegen werde ich kein Reich gründen. Es
ist belanglos, ob es zehn, hundert oder tausend Jahre bestünde, irgendwann
würde es doch wieder untergehen und ich - wir - wären wieder darauf angewiesen,
um unser Überleben zu kämpfen. Das ist etwas, was man lernt, wenn man lange
existiert. Nichts in diesem Universum ist von Dauer. Existenz ist ein
permanenter Kampf ums Überleben. In langen Zeiträumen wird es niemals so etwas
wie Stabilität oder Sicherheit geben. Deshalb macht es auch keinen Sinn, Macht
oder Reichtum zu erwerben. Auch Du wirst erfahren, daß man sein Herz nicht an
solche Dinge hängen soll, denn man wird sie nicht behalten können."
Die Worte, so hart sie auch klangen, kamen ohne Bitterkeit aus ihrem Mund.
"Auch Du wirst das erfahren", wiederholte sie noch einmal, "und Du wirst es
begreifen oder daran zugrundegehen. Wie viele vor Dir. Und wie wahrscheinlich
die meisten meiner künftigen Kinder. Berauscht von ihrer vermeintlichen Macht
werden sie die Herrschaft auf dieser Welt da verspielen. Aber ich werde dann
nicht mehr dort sein."
Die schlanke große Gestalt stand aufrecht und ruhig in dem halbdunklen Raum. In
den zerschlissenen dunklen Gewändern und mit dem langwallenden weißen Haar
wirkte sie seltsam unirdisch, als sie sprach.
"Ich weiß noch nicht, ob ich diesen Schrotthaufen hier instandsetzen lasse
oder mir ein neues, kleineres Schiff bauen lassen werde, wenn es soweit ist.
Auf jeden Fall werde ich nicht auf Ganea bleiben, sondern mich in irgendeinen
Gasnebel zurückziehen. Weißt Du, Julian, Einsamkeit und die Ruhe, ein- oder
zweihundert Jahre über das Sein an sich nachzudenken, sind so ziemlich alles,
was ich gelegentlich will."
"Ich brauche auch erst einmal Ruhe zum Nachdenken", antwortete ich.
Was für ein Wesen nenne ich da Mutter, fragte ein beinahe wahnsinniger Gedanke
in meinem Kopf, während mein Gefühl die innige Verbundenheit mit ihr spürte.
Fragen über Fragen an diese uralte Seele in dem zeitlosen Körper vor mir
formten sich in meinem Verstand. Aber mein Mund brachte nur ein Wort heraus:
"Warum..."
"Das habe ich Dir doch gesagt. Lebensformen breiten sich immer aus.
Unglücklicherweise sind diese Körper hier bereits tot." Mit einer unbewußten
Geste berührte die Frau ihren blassen Hals, um den sich eine kaum sichtbare
Narbe zog. "Und tote Körper erzeugen kein Leben mehr. In gewisser Weise ist die
einzige uns verwandte Lebensform ein Virus, das aus sich selbst heraus auch
nicht zur Reproduktion fähig ist, sondern in eine Zelle eindringen muß und
diese zwingt, Kopien von sich selbst herzustellen."
Sie machte eine weitausholende Geste in Richtung des Bildschirmes, der noch
immer Ganea zeigte.
"Wir sind das Virus. Das da ist unsere Zelle. Sie wird Wesen unserer Art
hervorbringen und in den Weltraum verstreuen. Und das ist alles, was für
uns zählt."
"Von Viren befallene Zellen sterben im allgemeinen recht schnell", entfuhr es
mir tonlos, "werden wir diese Welt zugrunderichten?"
"Irgendwann geht sie sowieso zugrunde. Ist es von Belang, ob das ein wenig
früher oder später geschieht? Du wirst noch viele Welten zugrundegehen sehen,
mein Sohn."
Ich dachte mit aufkeimender Panik daran, wie endgültig das klang. Ein kalter
Teil meines Verstandes sagte mir, daß sie rein logisch gesehen recht hatte,
meine Mutter. Wenn man lange genug lebt, wird man irgendwann selbst die Sterne
verlöschen sehen. Ich erinnerte mich plötzlich an die Legende, in der es hieß,
es sei eine Strafe, nicht sterben zu können, und bekam eine vage Ahnung, was
damit gemeint war. Mir wurde weich in den Knien, und ich mußte mich an der
schiefen Lehne des altersschwachen Sitzmöbels vor der fleckigen Konsole
festhalten. Als ich die Augen wieder öffnete, hatte sich die weißhaarige Frau
lautlos zur Tür bewegt und sah zu mir zurück.
"Komm", sagte sie mit einem tiefen Blick aus ihren schwarzen Augen.
Noch während sie regungslos dastand und auf mich wartete, flossen meine
Gedanken zu Taea. Taea die Große war die Feldherrin gewesen, vor beinahe
zweihundert Jahren, deren Züge das erste Galaktische Imperium in die Knie
gezwungen hatten. Sie hatte Selbstmord begangen, auf dem Höhepunkt ihrer Macht,
verehrt von Billionen von Wesen der verschiedensten Rassen, die sie befreit
hatte. Niemand hatte sie verstanden. Ich tat es in diesem Moment der
plötzlichen Klarheit, sah zu meiner Mutter, verstand, was sie und Taea so
schwer zu verstehen machte. Beide waren Wesen, die alles erreichen konnten und
gerade darum so entsetzlich einsam waren. Weil sie verstanden hatten, daß der
Zyklus von Aufbauen und Zerstören niemals enden würde, sich ewig wiederholen
würde, selbst die galaktischen Imperien einander ablösen würden, enes nach dem
anderen.
Taea hatte das irgendwann kurz vor ihrem Tod gewußt und diese Frau, die jetzt
meine Mutter war, wußte es schon lange. Und konnte die entsetzliche Bürde des
Wissens mit niemand teilen.
Es knirschte leise, als ich über den mit undefinierten Bruchstücken übersäten
zerfressenen Metallboden langsam auf sie zuschritt. Etwas in mir veränderte
sich, die Ergebenheit, die mir ihr Blut aufzwang, bekam eine Spur von Wärme und
Mitleid.
"Du wolltest mich, weil Du einsam warst", flüsterte ich in ihre dunklen Augen,
die mich magisch anzogen, "einen Gefährten, wenigstens für eine Sekunde
Deiner Ewigkeit, nicht wahr, Mutter?"
Ihr glattes weißes Gesicht zeigte keine Regung, als sie sich abwandte, um sich
durch die halboffene verklemmte Tür nach draußen zu zwängen. Aber ich glaubte
trotz des dämmerigen Lichtes bemerkt zu haben, daß ihre uralten Augen ein wenig
feucht waren.
Der Museumskurator war entrüstet und schnauzte seinen Assisstenten deshalb in
ungewohnter Heftigkeit an.
"Das gibt es doch einfach nicht. Das wichtigste Exponat aus unserem Museum kann
doch nicht einfach spurlos verschwinden. Ist das denn überhaupt möglich." Seine
Stimme überschlug sich beinahe vor Aufregung. "Ein Skandal ist das."
"Herr Kurator, ich bin genauso entrüstet wie Sie", versuchte der Assisstent zu
beschwichtigen, "ich habe bereits Maßnahmen ergriffen und den Sicherheitschef
entlassen. Der Mann wollte mir weismachen, die Vitrine sei von innen geöffnet
worden. Völlig absurd."
Der Kurator brummelte nur unverständliche Wortfetzen vor sich hin und trat an
die unversehrt dastehende Panzerglasscheibe. Mit ein wenig Glück konnte man den
Diebstahl vertuschen, aus Pietätsgründen hatte man den Steinsarkophag nie
geöffnet ausgestellt.
Er dachte daran, was für eine wissenschaftliche Sensation der Fund an Bord des
Raumschiffwrackes dargestellt hatte. Schon das Schiff selbst war Jahrhunderte
alt, man hatte es auf die Zeit des Sezessionskrieges im Ersten Imperium
datiert. Und der Sarkophag, den man in einem hermetisch abgeriegelten Raum tief
im Inneren des riesigen Wracks gefunden hatte, war noch viel älter, mußte
bereits damals eine ungeheuer wertvolle Antiquität gewesen sein. Wahrscheinlich
hatte man ihn darum in einem so schwer gepanzerten Raum auf einem Kriegsschiff
transportiert.
Und jetzt war er leider leer.
Die Hände des Kurators strichen abwesend über die polierte Bronzetafel an der
Panzerglasscheibe, auf der in der umständlichen Sprache der Wissenschaft die
Transkription der Symbole auf der flachen Deckplatte des Ausstellungsstückes
erklärt war. Es war seine eigene wissenschaftliche Arbeit, er hatte einen Preis
der Ganeanischen Akademie der Wissenschaft dafür bekommen.
"Dara, Herrin von Brackenburg", bedeuteten die prähistorischen Runen, was
vermutlich ein Namenszug sein sollte. Die Symbole darunter waren vermutlich
Zahlzeichen, nicht datierbar, wiesen aber in wahrscheinlich zurück in das
Wassermannzeitalter oder sogar noch davor.
Kopfschüttelnd wandte sich der Leiter des Museums von der unversehrt
dastehenden Vitrine ab. Wer war so verrückt, eine Leiche zu stehlen? Es konnte
nur ein Verrückter gewesen sein.
Eine Leiche ungeschützt zu berühren, bedeutete schließlich ein
Infektionsrisiko.
© 2000 Diane Neisius. Erstveröffentlichung im Literaturkreis Cafe Kreuzberg, Göttingen 2000.