Vielleicht muß ich an dieser Stelle einige mehr oder weniger notwendige Erklärungen einfügen. Sonja ist hetero, ich nicht. Und obgleich viele der Durchschnittsheterospießer von uns Homos denken, daß wir dauernotgeil durch die Weltgeschichte laufen, stets bereit, den nächsten im Weg stehenden Baum zu ficken, ist dem mitnichten so. Und auch Sonja ist einfach eine Freundin in einer fremden Stadt für mich. Zwar ganz niedlich, aber sowieso nicht so sehr mein Typ. Einfach eine Freundschaft halt. Soll es ja auch unter Heterosexuellen geben.
"Ich mache das auch
manchmal... bei mir ist es aber seltener erotisch", antwortete ich.
Regentropfen klatschten mit gedämpftem Geräusch gegen das nasse
Balkongeländer.
"Vielleicht können wir nachher ja auch ein bißchen
räuchern", schlug sie vor. "Bei dem ganzen 'Klappt ja sowieso nicht'- Kram,
den wir uns heute gegenseitig erzählt haben, bin ich so trübsinnig geworden.
Ich könnte ein paar nette Träume vertragen."
"Von mir aus." Ich dachte darüber nach,
daß in dem kleinen vollgestellten Zimmer dann ganz schön dicke Luft herrschen
würde. Möglicherweise bedeutete das Kopfschmerzen auf der Heimfahrt.
Andererseits soll man Feste feiern, wie sie fallen. Allzuoft kam ich
schließlich nicht nach Hamburg. Warum also nicht. Außerdem hatten die Läden
schon zu, bei dem Regen war der Weg bis zur nächsten Tankstelle inakzeptabel
weit, und der Wein dort eh überteuert.
"Ich such' mal die Räucherkohle.
Nach dem Essen bin ich sicher zu müde." Die kleine rothaarige Frau begann in
dem Chaos unter ihrem Hochbett herumzukramen.
"Wenn wir's uns schon geben,
dann habe ich noch eine andere Idee...", sagte ich nachdenklich in die
klappernden Geräusche. "Ich wollte das schon lange mal ausprobieren, bin aber
noch nie dazu gekommen. Wir könnten ein bißchen Dope unter den Weihrauch
mischen und sehen, wie das zusammen kommt."
"Was?" Das Klappern hörte für
einen Moment auf.
"Na Dope. Cannabis."
Der nachdenklich fragende
Kinderblick aus ihren blauen Augen wich einem breiten koboldhaften Grinsen.
"Das wär geil."
"Hast Du's schon mal gemacht?" Ich war mir nicht ganz
sicher, was das Grinsen zu bedeuten hatte.
"Nein, nur mal so mitgeraucht.
Finde ich aber auch ganz nett", erklärte sie, während der Kopf wieder in der
Dämmerung unter dem Hochbett verschwand, und durch das erneute Klappern fragte
sie: "Hast Du was mit?"
"Ein Gramm", antwortete ich. In der dann
entstehenden Pause war das Klatschen der Regentropfen vor der Balkontür
überdeutlich zu hören.
"Ah, da ist sie ja." Ihre Stimme klang gedämpft aus
der Tiefe irgendwelcher Kisten und Schachteln. "Hoffentlich geht die noch." Die
zierliche Gestalt erschien wieder zwischen ihren an den Balken des
Bettaufbaues aufgehängten Kleidungsstücken.
"Wollen wir?" Irgend ein
schelmisches kleines Tierchen schien mich in den Bauch zu pieksen.
"Wenn
wir uns schon nicht betrinken können..."
Abwesend untersuchte sie die silbrige
Verpackung der Kohlenstücke, blickte dann aber plötzlich auf. "Im Fernsehen
kommt sowieso nix. Und auf noch mehr depressives Gelaber habe ich keine Lust.
Davon kann ich dann bestimmt nicht gut schlafen."
"Also gut, dann nach dem
Essen, würde ich sagen", schloß ich diesen Teil der Unterhaltung.
Schmeichelnde Berührung. Wasser. Das ist ein Traum, denke ich, ein
Wassertraum. Ich blicke mich nicht um, nehme mich aber wahr. Kubikkilometer
glasklaren blaugrünen Wassers, in dem ich treibe, ich atme es mit der
Leichtigkeit, mit der ich das in Träumen immer tue. Die blaugrüne
Unendlichkeit ist bodenlos, nur weit oben ist das schwache Glitzern von Wellen
zu sehen.
Wieder das Schmeicheln. Ich treibe rücklings, etwas ist um mich
herum, weiße Schlangen oder Fische, ich sehe mich wieder aus dieser
eigenartigen Traumperspektive von Innen und Außen zugleich, es sind Tentakel,
die auf mir selbst wachsen, wie Flossenfortsätze eines Fisches. Sie wehen um
mich herum in der schwachen Strömung.
Auch meine Haare sind solche langen
weißen Tentakel, sie ringeln sich ebenso wie die Fortsätze meiner Arme und
Beine über meinen weißen nackten Körper, auf den Lichtreflexe von der
Wasseroberfläche weiße schimmernde Muster zeichnen.
Schwache Berührungen der
schlanken fischartigen Auswüchse, ein Tasten hier und dort, das kribbelnde
Wellen durch meinen sich wiegenden Leib schickt.
Langsam steigt Erregung
in mir auf von all dem Treiben und Schmeicheln, Muskeln ziehen sich zusammen,
die Ringelbewegungen der weißen schlangenartigen Auswüchse meines Körpers
werden ausgreifender. Die Erregung wird heftiger, die Tentakel werden kühner,
schließlich kriecht einer mit geiler Langsamkeit zwischen meine Beine...
Ups, nein, das ist ja gar kein Traum, denke ich, als ich mich plötzlich in
meinen Schlafsack verwickelt wiederfinde, die Brustwarzen stehen wie Einsen,
und in meinem Bauch brennt die Hölle. Wieder mal zwei Sekunden zu früh
aufgewacht, ärgert sich irgendein schon funktionierender Teil meines
Gehirns.
Ich weigere mich, die Augen zu öffnen, könnte ja in der
Dunkelheit sowieso nichts sehen, hasche mit den Gedanken nur nach den schon
verblassenden Traumfetzen. Die Luft duftet noch immer dumpf und
schwer-süßlich.
Nur halb dringt ein Rascheln von Bettwäsche an mein Ohr
durch. Sonja wälzt sich dort oben auf ihrem Hochbett. Hat sie meine schwachen
Bewegungen bemerkt?
"Kannst Du auch nicht schlafen?" Ihre Stimme klingt
gar nicht, als sei sie hellwach.
"Mmmh", gab ich zurück, noch immer auf
der Suche nach meinen Händen und Füßen in den Falten meines Schlafsackes. Mein
Gebrummel klang sehr nach einer rostigen Eisenplatte, die über einen
Steinfußboden gezogen wird.
"Mir ist so komisch", stellte die helle Stimme
von oben fest.
Na, mir auch, dachte ich, wenn Du wüßtest, wie komisch.
Aber ich krächzte nur ein undeutliches "Ja."
"Ich würd' am liebsten ein
bißchen kuscheln", sagte die Stimme im Dunkeln vorsichtig. Ich wühlte noch
immer ungeschickt in dem verzwickt verknäuelten Schlafsack.
"Kann ich zu
Dir runterkommen?"
"Mmmh", brummelte ich, noch ehe mein gebremster
Verstand Zeit hatte, einzugreifen.
Moment mal, dachte ich, das kann ins
Auge gehen. Es gibt Grenzen für alles. Auch wenn mein Bauch in Kuschellaune
ist.
Schon knarrte die hölzerne Trittleiter. Schritte kamen herunter zu
mir, die ich noch nicht einmal meine Augen aufbekam. Nackte Füße auf dem
Teppich und Alarmsirenen im Kopf. Aber irgendwie brachte ich in dem halbwachen
Chaos überhaupt keine Reaktion zustande.
Dann ein Zupfen an dem wegen der
Wärme halboffenen Schlafsack. Die warme Berührung von Haut. Moschusgeruch eines
weiblichen Körpers.
Etwas ließ mich die Arme um sie schlingen, ihre Wärme
an mich pressen, meine Nase an ihrem Hals vergraben. Eine ganze Weile lagen
wir so still da.
Dann, es ist unmöglich zu sagen, ob jemand bewußt oder
unbewußt damit angefangen hat, wurde aus zufälligen kleinen Bewegungen ein
vorsichtiges Tasten, ein ganz zartes scheues Streicheln, dann, als die Abwehr
trotz im Kopf schrillender Alarmsirenen noch immer nicht erfolgte, ein ganz
leichtes Liebkosen. Es war eindeutig an der Grenze dessen, was eine einfache
Freundschaft noch zuließ, dachte ein irgend ein ganz ferner Teil meines
Bewußtseins. Und mein Körper genoß die rieselnden Schauer ihrer
Berührungen.
Meine Hände, erfahren im Umgang mit dem Körper einer Frau,
gingen nun auf kühnere Streifzüge, ohne mich noch groß um Erlaubnis zu fragen.
Meine Gastgeberin seufzte leise auf,
als ich nach ihrer Brust faßte. Die
Grenze war überschritten.
Meine Fingerspitzen jagten Schauer an ihrer sich
spannenden Wirbelsäule entlang, strichen hier und dort, taten das, was ich in
wacheren Momenten als diesem "die Hautharfe spielen" nannte, komponierten eine
Symphonie der wachsenden Erregung. Irgendwoher kamen Lippen, eine Zunge,
feuchte Leidenschaft zog einen Strudel, der immer schneller wirbelte, Salz auf
meiner Zunge, kitzelnde Haare, klammernde Gliedmaßen, ein entrücktes
Stöhnen.
Dann der Moment, als die Woge sich aufsteilte, höher als ein
Tsunami, der eine Insel versenken will, eine Welle rollenden Wassers,
unaufhaltsame Naturgewalt, die mich höher und höher auf ihrer Schaumkrone in
den Sternenhimmel trug, mich davonschleuderte ins Überall und Nirgendwo, als
sie sich endlich brach und die Insel zerplatzen ließ.
Schweben, fallen,
schwimmen. Das kleine Zimmer ist plötzlich wieder da und der süßliche Geruch
in der Dunkelheit. Kein weiteres Nachdenken über den rätselhaften Körper, der
ruhig atmend in meinen verklammert liegt.
Das Bewußtsein verdämmerte
irgendwo, ruhiggestellt von bleischwerer Müdigkeit.
Am Morgen, unter der
Dusche, kamen die Bilder der Nacht langsam zurück. Ich muß dazu sagen, daß ich
die Bilderbuchausgabe eines Morgenmuffels bin, kriege kaum die Augen auf, von
aufrecht Gehen und Sprechen ganz zu schweigen, ehe ich nicht heiße Dusche und
Kaffee hatte.
Aber jetzt, als das rieselnde warme Wasser in der kleinen
weißgekachelten Nische langsam das Blut in mein unausgeschlafenes Gehirn
trieb, wurde mir langsam klar, was eigentlich passiert war. Daß passiert war,
was nicht hätte passieren dürfen.
Ein plötzlicher scharfer Stich der
Erkenntnis, daß nach diesem Vorfall nichts mehr so war wie vorher, denn
Freundschaften vertragen nun mal keinen Sex. Noch dazu welchen in der falschen
Spielart. Zumindest für Sonja.
Ich wußte, er würde kommen, der erste
Blick im vollen Bewußtsein, was geschehen war, nachher, am Küchentisch, und
daß er das Ende von etwas nicht klar Abgestecktem sein würde. Von etwas, das
nicht mein Leben bedeutete, aber, so selten die Kontakte auch waren, fehlen
würde.
Ich schloß die Augen in dem synthetisch perlenden Regen und
versuchte, nicht zu denken. Wasser auf meiner Haut, eintöniges Rauschen, das
mich nicht wiedereinschläfern konnte.
Ich bleibe einfach hier, dachte ich,
gehe nicht hinaus durch die Tür, vermeide die Konfrontation, halte die Zeit
fest, und alles bleibt, wie es ist. Keine verunsicherten Blicke, kein
Gespräch über Belanglosigkeiten, kein ungeschicktes Ausweichen der Hände,
keine nervöse Spannung im Raum, kein Füllen der Zeit bis zu meiner Abfahrt mit
aufgesetzter fröhlicher Leichtigkeit.
Aber, wie es immer ist in diesen
Momenten, die Zeit ist unerbittlich, sie fließt wie das Wasser in den Abfluß
der Dusche und nimmt unsere Unschuld mit, die kostbaren Momente des Schwebens,
die kleinen Paradiese, bevor die graue gnadenlose Realität uns wieder ihr
Messer an die Kehle setzt.
Und so stand ich da, mit geschlossenen Augen,
die rinnenden Tropfen auf meiner Haut, reglos, zeitlos, unfähig zu fliehen wie
so oft in meinem Leben und wünschte mir, alles wäre nur ein Traum gewesen,
erzeugt vom Weihrauch, und daß ich aufwachen würde und alles wieder wie vorher
wäre.
Aber ich wachte nicht auf, stand nur da, unfähig mich zu bewegen im
unerbittlich tropfenden Strom der Zeit.
© 2000 Diane Neisius. Erstveröffentlichung im Literaturkreis Cafe Kreuzberg, Göttingen 2000.