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Isis Info

von

Diane Neisius

Die Göttin Isis ist die bekannteste Göttin Ägyptens, was daran liegt, daß sie nicht nur im klassischen Ägypten der Pharaonen verehrt wurde, sondern sich ihr Kult in der Spätantike über das gesamte Römische Reich ausbreitete (und damit fast über die gesamte damals bekannte Welt). Doch bevor wir uns mit der Entwicklung des Kultes dieser großen Muttergöttin beschäftigen, soll zunächst ihre Mythologie kurz zusammengefaßt wiedergegeben werden: [1-6]

Als der Luftgott Shu die Geschwister Nut und Geb (Himmel und Erde) voneinander trennte, war die Himmelsgöttin Nut schwanger mit vier Kindern: Isis und Osiris, Nephtys und Seth. Von Isis und Osiris wird gesagt, daß sie einander schon im Mutterleib liebten.
Osiris und Isis wurden im Auftrag ihres Vaters Geb König und Königin von Ägypten, nachdem der Sonnengott Re in den Himmel aufgestiegen war. Es wird gesagt, daß sie die ersten waren, die die Menschen den Ackerbau lehrten und ihnen eine Rechtsprechung gaben. Als Ägypten zivilisiert war, machte sich Osiris auf, auch die anderen Völker zu zivilisieren (er tat sich dabei nicht als Krieger hervor, sondern wußte durch intelligente Rede und das Spiel seiner Harfe zu überzeugen). Isis regierte Ägypten in dieser Zeit allein.
Aber Isis war nicht nur eine fähige Königin, sondern auch eine geübte Magierin. Durch eine List hatte sie sich den Wahren Namen des Sonnengottes verschafft (was bedeutet, daß sie Macht über ihn besaß), aber es war auch allein ihre Magie, die neben der Kraft ihres Bruders Seth die Barke des Sonnengottes Re vor den Mächten des Chaos beschützte, wenn sie nachts durch die Unterwelt gezogen wurde.
Als Osiris von seiner Mission zurückkehrte, war sein Bruder Seth neidisch auf seinen Erfolg. Es gibt verschiedene Berichte, wie Osiris zu Tode kam, ob er durch einen Unfall im Nil ertrank oder ob Seth ihn bei einem Aufstand tötete und seine Leiche in den Nil warf. Seth ursurpierte die Macht und setzte seine Schwester Isis gefangen. Sie entkam jedoch und machte sich auf die Suche nach ihrem toten Bruder und Geliebten.
Isis gelangte auf ihrer Wanderung bis nach Phönizien, wo Osiris angespült und von Stamm einer Ereike umwachsen worden war. Die Göttin gab sich nicht zu erkennen, sondern diente der Königin des Landes für einige Zeit als Amme und erbat sich nur den Stamm des Baumes als Lohn, ehe sie sich auf den Heimweg machte.
Im Papyrusschilf Unterägyptens versteckt öffnete sie den Stamm und klagte über Osiris. Mit ihrer göttlichen Macht belebte sie ihn wieder, und sie zeugten den Falkengott Horus. Es war aber nicht der Wunsch des Osiris, wieder auf Erden zu leben, sondern er wurde König der Jenseitswelt, damit allen Menschen gleich ihm die Auferstehung von den Toten garantiert sei.
Seth hatte inzwischen geargwöhnt, daß etwas im Gange war, und sich auf die Suche gemacht. Er fand den Leib des Osiris, als Isis nicht in ihrem Versteck war, und zerriß ihn in 14 Teile, die er über Ägypten verstreute. Deshalb wird auch gesagt, daß Osiris 14 Gräber besitzt. Isis jedoch fand alle Teile und setzte sie wieder zusammen.
Im Schilf versteckt gebar sie ihren Sohn Horus und zog ihn auf. Horus wurde ein geschickter Krieger, und als er alt genug war, zog Isis mit ihm vor die Neunheit der Götter, um für ihn die Krone Ägyptens einzufordern.
Diese als "Streit zwischen Horus und Seth" bekanntgewordene Gerichtsverhandlung zog sich über Jahrzehnte durch mehrere Instanzen, in denen Horus auf sein Recht als Erbe und Seth auf seine de-facto-Macht pochten. Letzten Endes überlistete Isis den Seth und brachte ihn dazu, sein eigenes Urteil zu sprechen. Da konnte das Gericht der Götter nichts mehr anderes tun als Horus als König anzuerkennen.
Da ihr geliebter Osiris in der Jenseitswelt geblieben war, schwor Isis, nie mehr auf Erden zu heiraten. Sie lebte noch eine lange Zeit in Ägypten als Weise Frau und Magierin, ehe sie in den Himmel aufstieg.

In der Religion des alten Ägypten war diese Mythologie und der mit ihr verbundene Kult zunächst als einer von vielen nur in Unterägypten verbreitet. Jedoch wurden Isis und Osiris schnell volkstümlich, und schon im Mittleren und im Neuen Reich (in dem u. a. Tut-Ankh-Amun und Ramses regierten) war es üblich, den toten König mit Osiris gleichzusetzen, damit seine Auferstehung garantiert war. Dieser Bestattungsbrauch breitete sich nach und nach auf alle Bevölkerungskreise aus.
Als in der ägyptischen Spätzeit die Griechen nach Ägypten kamen, beeindruckte sie der Kult von Isis und Osiris sehr. Die Menschen wurden von den Mühen der Isis, die ihren Geliebten sucht, ihn auferstehen läßt und ihren Sohn entgegen aller Widrigkeiten aufzieht und ihm zu seinem Recht verhilft, tief berührt. Isis wurde mit der griechischen Demeter identifiziert und begann auch außerhalb Ägyptens Bekanntheit zu erlangen.
Im Römischen Reich beschleunigte sich dieser Prozeß noch. Im späten Imperium war der Kult der Isis neben dem Mithraskult die am weitesten verbreitete Religion. Tempel der Isis wurden u. a. in London, St. Alban, St. Gallen, Mainz und Köln gefunden.
Als das Christentum in Rom Staatsreligion wurde, hatte es bereits die Züge der bis dahin dominierenden Religionen in sich aufgenommen (Auferstehung, göttlicher Sohn, Verehrung des Lichtes). Die heute in Südeuropa verbreitete Marienverehrung hat ihren Ursprung direkt im Kult der Isis. Aus der "Isis Lactans" mit Horus auf dem Schoß wurde Maria mit dem Jesuskind. Es gibt noch heute sehr alte römische Basiliken, in denen erkennbar ist, daß über einem Bild der Isis die Hörnerkrone ausgemeißelt wurde und dafür Kreuze hinzugefügt. Mehrere Liedersammlungen des Mittelalters, darunter die "Cantigas de Santa Maria" gehen direkt auf alte Hymnen an Isis zurück.
Und heutzutage gibt es nicht nur die Mitglieder der Fellowship of Isis, die Isis wieder direkt verehren, sondern auch etwa fünf Millionen Katholiken, die in Maria wenigstens den weiblichen Aspekt Gottes sehen wollen, wenn nicht sogar die Göttin selbst. Isis lebt!

Literatur

[1] Regula, DeTraci: Mysteries of Isis. Llewyn Publ., St.Paul MN, 1996.
[2] Zingsem, Vera: Göttinnen großer Kulturen. DTV, München 1999.
[3] Brunner-Traut, Emma: Altägyptische Märchen. Bechtermünz Verlag, Augsburg, 1998.
[4] Apuleius von Medauros: Metamorphoses XI:2-13
[5] Plutarch: De Iside et Osiride 12-20
[6] Diodoros Siculus: Historia Mundi I:11-22
[7] Witteyer, Marion: Göttlicher Baugrund. Initiative Römisches Mainz e. V., Mainz, 2003.


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