Sheela-na-Gig und die Göttin, die auf einem Schwein reitet...


Claudia M. Striewe


"Jeder Mensch ist zwischen den Beinen eine Frau hervorgekrochen. Es wird Zeit, dass der Ort zwischen den Beinen einer Frau wieder zu etwas Heiligem wird, was er einst war."

(Zsuzsanna Budapest)


Sheela-na-Gig ... nie gehört? Hört sich irgendwie keltisch an? Sheela-na-Gigs sind in England und Irland verbreitete Abbildungen (Steinritzungen oder Reliefs) weiblicher Figuren. Man findet sie an Kirchen, in Burgen oder anderen bedeutsamen mittelalterlichen Gebäuden. Bis vor gar nicht so langer Zeit galten sie als beschwörendes oder beschützendes Symbol für Glück und Fruchtbarkeit.

Das hervorstechende Merkmal der Sheela-na-Gig ist, dass sie mit einem Gesicht mit meist großen offenen Augen, einem winzigen Körper und deutlich sichtbaren weiblichen Geschlechtsorganen dargestellt wird. In vielen Fällen hält diese kleine Figur mit ihren Händen ihre Schamlippen auseinander. Und so was an christlichen Kirchen??? Tja, es ist wirklich erstaunlich, dass sich diese Symbolfiguren bis in unsere Zeit hinein heimlich, still und leise an so vielen Orten erhalten haben.

Um ihre Bedeutung zu verstehen, müssen wir in der Zeit viel weiter zurückgehen als zu den Gründungen der ersten christlichen Kirchen auf englischem und irischem Boden... Die Tatsache, dass diese grotesk wirkenden Figuren an so vielen Stellen, oft über den Eingängen oder Tordurchgängen von Gebäuden, auftauchen, weist darauf hin, dass sie ein machtvolles Symbol waren, welches sicher mit den ursprünglichen religiös-magischen Vorstellungen in diesen Ländern in Verbindung steht.


Man hat herausgefunden, dass es über 140 Darstellungen von Sheela-na-Gigs in Großbritannien und Irland gab, von denen sich noch ca. 80 an ihrem ursprünglichen Platz befinden. Über 20 scheinen verlorengegangen zu sein, seit man sie zum ersten Mal wissenschaftlich registrierte, und die restlichen befinden sich Museen und ähnlichen Orten.

Wann genau die ältesten Figuren und Zeichnungen dieser Art entstanden, weiß man nicht, aber sie sind aus der ganzen keltisch-christlichen Periode (5. - 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung) bekannt, in der sie ihre Blütezeit hatten, und wurden auch im späten Mittelalter noch erstellt. Sie erscheinen sehr oft an Gebäuden, die mit Frauen in Verbindung standen, wie z.B. Nonnenklöstern in Irland, oder der St Helen-Kirche in Yorkshire. In Irland wird der Frauenname Catherine/Cathleen mit den Sheela-na-Gigs in Verbindung gebracht.

Vermutlich wurde das Motiv noch bis ins 16. Jahrhundert hinein in seiner traditionellen Form verwendet, und erst im 17. und 18. Jahrhundert wurden sie oft entfernt, von ihren gut sichtbaren Plätzen an andere, verstecktere, verfrachtet, oder teilweise zerstört. Es gibt einige Sheela-na-Gigs, die zwar bis heute erhalten sind, deren untere Hälfte aber unkenntlich gemacht worden ist...

Interessant ist auch, dass in christlicher Zeit versucht wurde, das Vorhandensein der Figuren und ihre deutliche Symbolik damit zu begründen, dass sie "vor den Sünden des Fleisches warnen" sollten - man fragt sich, warum dann solche Anstrengungen begangen wurden, um sie zu eliminieren, wenn sie doch angeblich einem so frommen Zweck dienten??


Um die grotesken Frauenfigürchen ranken sich eine Menge lokale Volksmythen und Geschichten, die sich, wie in so vielen Fällen, zurückführen lassen auf Fragmente der alten religiösen Vorstellungen. Natürlich schickte es sich für die ersten Volkskundler vor einigen hundert Jahren nicht, sich allzu detailliert mit diesem anzüglichen Thema zu befassen, und zu jener Zeit waren die Kirchenleute auch schon eifrig dabei, diese "Peinlichkeiten" aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. So haben wir heute vergleichsweise wenige Aufzeichnungen alter folkloristischer Traditionen in Bezug zur Sheela-na-Gig.

Doch viele Anzeichen deuten darauf hin, dass die Figuren als etwas Besonderes angesehen wurden. Sie wurden oft mit speziellen Namen benannt, oder allgemein als "the hag" ("Hexe", besonders in ihrem Aspekt der alten oder wilden Frau) oder "the idol" (Idol, Götterfigur) bezeichnet, und ehrfürchtig behandelt. Vielen wurde Heilkraft zugeschrieben oder die Fähigkeit, den "bösen Blick" abzuwenden.

Von der Sheela-na-Gig am Castlemagner in Irland, wie auch von einigen anderen, ist überliefert, dass sie demjenigen Glück und Fruchtbarkeit bringen soll, der sie berührt. Genau gesagt geht es darum, die Geschlechtsteile der Figur zu berühren oder zu reiben. Dies wurde viele Jahrhunderte lang von Pilgern, die zu bestimmten Kirchen oder Klöstern kamen, praktiziert. Auch der Staub von der Figur sollte magische Kräfte haben.

Aus einem Distrikt in der Grafschaft Cork ist ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert bekannt, wo der gebräuchliche Name für eine bestimmte Sheela-na-Gig von einer örtlichen Weisen Frau herrührte, die offensichtlich trotz kirchlicher Interventionen Heilkunde und Magie im Dienste der Dorfbewohner ausübte. Es wurde bekannt, dass eine ihrer Methoden, jemandem von "Unglück" oder dem "bösen Blick" zu heilen, darin bestand, dass sie sich vor ihnen nackt zeigte.


Doch woher stammen diese auf den ersten Blick kurios anmutenden Gebräuche?

Offensichtlich stehen sie mit Fruchtbarkeit (sowohl im Sinne von Fortpflanzung als auch im übertragenen Sinne von Erfolg und Wohlstand) in Verbindung. Doch scheint das nur ein oberflächlicher Blick auf ihre Symbolik zu sein.

Die Mehrzahl dieser Figürchen hält oder berührt mit ihren Händen ihre Vagina oder zieht die Schamlippen auseinander. Dieser Teil des Körpers ist oft überraschend detailliert dargestellt, während der Rest eher stilisiert wirkt. Dabei fällt auf, dass auch, oder gerade, diejenigen Körperteile, die gar nicht direkt etwas mit der Fortpflanzung zu tun haben, wie die Klitoris oder die Schamlippen, deutlich zu erkennen sind.

Göttinfiguren in den verschiedensten Kulturen zeigen nur selten solche Merkmale, und wenn sie mit Fruchtbarkeit in Verbindung stehen, wird dies meist durch die Überbetonung von Organen wie Bauch oder Brüsten dargestellt, während die tatsächlichen Geschlechtsorgane gar nicht beachtet werden.

Viele Sheela-na-Gigs dagegen haben Hängebrüste, sichtbare Rippen, sind mager oder krummrückig - was eigentlich keine Anzeichen für ein Fruchtbarkeitssymbol sind!

Mehrere Keltenforscher weisen darauf hin, dass die Götter und Göttinnen der keltischen Mythologie oft "hässlich" oder grotesk aussehen, als Zeichen von eindrucksvoller Macht, und weil sie von den Menschen Respekt und Ehrfurcht erwarten.


Die Vulva, der Eingang zur Gebärmutter, gilt in nahezu allen ursprünglichen Kulturen, teilweise bis heute, als machtvolles und beschwörendes Symbol. Die irische Folklore ist voll von mächtigen Frauengestalten, und in vielen Mythen finden sich Hinweise auf die magische Macht nackter Frauen. Der große Held der irischen Sagenwelt, Cuchullain, durfte zum Beispiel keine nackte Frau anschauen, da sonst seine Kraft schwinden würde.


Eine ganz andere Assoziation fiel mir ein, als ich zum ersten Mal überhaupt etwas über Sheela-na- Gigs las. Mich erinnerte die Darstellung sofort an die Göttin Baubo der griechischen Mythologie:


Demeter, die Erdgöttin, hatte eine Tochter namens Persephone, die sie sehr liebte. Doch Persephone gefiel auch dem Unterweltgott Hades, und so entführte er sie in sein Reich. Demeter war darüber außer sich vor Verzweiflung und Zorn. Deshalb wuchs nichts mehr auf der Erde, die Pflanzen verdorrten, und es wurden keine Kinder mehr geboren. Die anderen Götter sahen dies mit Besorgnis, und versuchten, Demeter zur Besinnung zu bringen und zwischen ihr und Hades zu vermitteln. Doch Demeter war untröstlich und wollte überhaupt nicht mit sich reden lassen. Sie wanderte rastlos durchs Land, und versuchte an Brunnen und Quellen mit ihrer Tochter unten in der Unterwelt zu sprechen. Da kam schließlich Baubo, die Bauchgöttin ohne Kopf und Füße, die auf einer Sau reitet, um sich fortbewegen, auf die Idee, Demeter aufzuheitern. Sie ritt zu ihr, tanzte vor ihr, wackelte mit den Brüsten, und entlockte durch diese spaßige Darbietung Demeter ein kleines Lächeln. Doch das reichte ihr noch nicht. Sie begann ein paar schmutzige Witze zu erzählen, und zwar, da sie ja keinen Mund hatte, tat sie das mit ihrer Vagina. Demeter wurde durch den komischen Anblick dieser sprechenden Vagina endgültig aus ihrer Trübsinnigkeit gerissen, und begann schallend zu lachen. Wie die Geschichte weitergeht, ist - im Gegensatz zu dieser kleinen Episode - recht bekannt: Hades ließ sich auf einen Handel ein, und Persephone verbrachte von nun an je ein halbes Jahr auf der Erde bei ihrer geliebten Mutter und ein halbes Jahr im unterirdischen Reich ihres Mannes, wodurch der Wechsel zwischen Sommer und Winter zustande kam...


Die Beschreibung der Baubo erinnert an die jungsteinzeitlichen Frauen-Idole ohne Arme und Beine, jedoch mit ausgeprägten Brüsten, Bäuchen oder auch Geschlechtsorganen. Sie auf den Fruchtbarkeitsaspekt (im Sinne von Fortpflanzung) zu reduzieren, ist wahrscheinlich zu kurz gegriffen. Denn in der Geschichte von Demeter und Baubo ist es ja gerade die Tatsache, dass Baubo ihre Vagina zum Sprechen benutzt, die etwas besonderes bewirkt. In Clarissa Estés' Buch "Die Wolfsfrau" las ich, dass es ein spanisches Sprichwort gibt, welches lautet:

"El habla por en medio de las piernas". Sie spricht durch die Organe zwischen ihren Beinen.

Damit ist die intuitive, schlagfertige, offene Ausdrucksweise einer Frau gemeint, die auch eine fröhliche, ganz und gar un-verschämte Art von sexuellem Humor beinhalten kann. Vielleicht auch eine "Weisheit aus dem Bauch heraus", die dahinter steht... Jedenfalls die Überzeugung, dass ich mich als Frau nicht zu verstecken brauche, mit meiner Meinung und meinem Urteil, dass aus mir, aus meinem Körper, Kopf, Herz und Seele kommt.


Der Demeter-Mythos ist sowieso voller spannender weiblicher Symbolik. Bereits in der Zeit der griechischen Antike wurde die Figur der Demeter als Erdmutter mit vorgriechischen Kulturen, insbesondere auf Kreta, in Verbindung gebracht. Der Demeterkult stammt wahrscheinlich aus dem vorderasiatischen und mediterranen Kulturkreis des 2. vorchristlichen Jahrtausends, aus einer Zeit früher Stadtkulturen und matrizentrierter Sozialstrukturen. Doch dies ist eigentlich ein anderes Thema...

Ganz besonders interessant finde ich im Rahmen dieses Artikels noch, dass Baubo auf einer Sau reitet. Schweine, genauer gesagt, weibliche Schweine, sind in vielen ursprünglichen Kulturen heilig. Im europäischen Raum fällt mir dazu beispielsweise Freyja ein, die auch in Begleitung einer Sau auftritt und selbst den Beinamen "syr" (= Sau) trägt.

Schweine gelten als klug, und durch unsere moderne Forschung wissen wir heute, dass sie uns genetisch sehr nahe stehen. Andererseits werden sie oft mit Schmutz und Obszönität in Verbindung gebracht, obwohl das natürliche Verhalten dieser Tiere keine besonderen Anlässe dazu bietet. Wenn man sich mit den verschiedenen mythologischen Quellen beschäftigt, kann man sich sehr gut vorstellen, dass die Verunglimpfung der Schweine, ähnlich wie die Reduzierung der Sheela-na-Gig auf die "Sünden des Fleisches", ein Hinweis auf die Perversion natürlicher Weiblichkeit durch den aufkommenden patriarchalen Dualismus darstellt.

Das Sprichwort "die Sau rauslassen" meint ein unbekümmertes, respektlos-fröhliches, wildes, ungezügeltes, den sinnlichen Genüssen zugeneigtes Verhalten. Wenn doch schon die Sau darin genannt wird, und nicht der Eber, warum wird dann immer noch ein solches Verhalten in unserer Gesellschaft - sowohl in männlicher als auch weiblicher Beurteilung - eher als akzeptabel empfunden, wenn es von Männern ausgeführt wird, während Frauen immer noch ihren "Anstand" zu bewahren haben. Selbst in Kreisen, wo Frauen sich mit einer naturverbundenen Spiritualität und Lebensweise befassen, ist neben der edlen, erhabenen, silberglänzenden Mondgöttin wenig Platz für die fröhliche, un-verschämte, plappernde Vagina der Baubo oder die verschwörerisch grinsende, ebenfalls Weisheit und Heilung "aus dem Bauch heraus" versprechende Sheela-na-Gig.


Sheela-na-Gig repräsentiert ein relativ spätes Auflackern archaischer Göttinsymbolik, in einer nominell christlichen Ära, als die Britischen Inseln von den Normannen erobert wurden. Diese brachten den römisch-katholischen Glauben nach England und Irland, und verdrängten damit die alten politischen Strukturen und das mystisch ausgerichtete keltische Frühchristentum.

Dies verursachte jedoch auch eine Art keltischen "Widerstandsgeist", und es mag sein, dass die Sheela-na-Gig ein Symbol dafür war.

Sie ist eine uralte Figur, die in verschiedenen Ausprägungen seit prähistorischer Zeit verehrt wurde. Bis zum Ende der keltisch-frühchristlichen Ära wurde sie nur selten und in besonderen Fällen dargestellt. Dann plötzlich erscheint sie überall, in einer Zeit, als die letzten Spuren der alten Göttinnen und die heidnischen Aspekte der frühen Kirche in ganz Europa von den katholischen Machthabern verdrängt und ausgelöscht werden.

Sheela-na-Gig hat diese Zeiten überlebt, und wir begegnen ihr immer noch und immer wieder als Erinnerung an die frühere Position von Frauen in der Gesellschaft und weibliches Selbstverständnis.



Quellen und Buchtips:

Einige Informationen zur Sheela-na-Gig bekam ich aus einem Text von Jack Roberts.

Eine der interessantesten wissenschaftlichen Arbeiten zu weiblichen Mythen und Symbolfiguren ist Vera Zingsem: Der Himmel ist mein, die Erde ist mein. Göttinnen großer Kulturen im Wandel der Zeiten (klopfer & meyer Verlag).

Außerdem empfehlenswert für Frauen auf den Pfaden der ursprünglichen Weiblichkeit sind die folgenden Bücher:

Clarissa Pinkola Estés: Die Wolfsfrau (heyne Taschenbuch),

sowie alles von Luisa Francia (ebenfalls als Taschenbücher erhältlich, Verlag frauenoffensive),

und bei tiefergehendem Interesse an spezifisch weiblicher Naturreligiosität Ute Manan Schiran: Menschenfrauen fliegen wieder / Die Wege der Wölfin (mittlerweile schwer erhältlich, jedoch auch als Taschenbücher veröffentlicht).

© 2001 Claudia M. Striewe



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