Grenzen der Magie

Diane Neisius

Vortrag vom 17. 12. 2001 im Bastet und Tefnut Iseum

Inhalt

Einführung
Grenze zur Psychosomatik
Physikalische Grenzen
Moralische Grenzen
Mechanistische Grenzen
Schluß
Referenzen

Einführung

Das, was heutzutage als "Magie" bezeichnet wird, hat gegenwärtig einen sehr ambivalenten Klang. Für hartgesottenen Realisten ist sie nichts weiter als eine Zutat aus Kindermärchen, um die man sich nicht weiter zu kümmern braucht, für aufgeschlossenere Naturen vielleicht etwas, was jedem Gegenstand und jedem Wesen zu eigen ist.
Nicht umsonst spricht man beispielsweise bei einer Landschaft oder einer Situation davon, daß sie ihre "ganz eigene Magie" gehabt habe, während andererseits bei kleinen Betrügereien eher von einem "faulen Zauber" die Rede ist. Ganz offensichtlich gibt es also schon sprachlich einen Unterschied zwische "Zauberei" und "Magie", wobei das erstere eher artistische Taschenspielertricks meint und der zweite Begriff mehr auf natürliche, schwer erfaßbare Gefühlsstimmungen angewandt wird.
Es lohnt sich am Anfang vielleicht, die Herkunft des Begriffes "Magie" zu betrachten. Im Altertum wurden (in der lateinischsprachigen Literatur) die aus Persien stammenden Priester des Zoroastrismus als "magii" bezeichnet, was sich vermutlich vom altpersischen Wort für "Priester" ableitet. Folglich ist im engeren Sinne des Wortes Magie das, was ein Priester oder eine Priesterin tut.
Natürlich hat sich im Laufe der Jahrhunderte diese strenge Beschränkung gewandelt, und als "Magier" wurden alle die Personen bezeichnet, die sich mehr oder weniger seriös der Dienstleistungen annahmen, die primär die großen Tempel der antiken Welt anboten: Zukunftsschau, Amulettherstellung, Heilung, um nur einige zu nennen.
Das war natürlich ein einträgliches Geschäft, das nur zu bald auch Betrüger anzog. Die Magie bekam einen Ruch von "faulem Zauber", den das Aufkommen der fundierten Naturwissenschaften während des Zeitalters der Aufklärung mit ihrem Absolutheitsanspruch nur noch verstärkt hat.
Doch auch schon vorher hatten verschiedene Autoren der Renaissance begonnen, das Material der Antike, das meist nur in arabischer Übersetzung aus dem Griechischen die Zeiten "überlebt" hatte und im Mittelalter ins Lateinische weiterübersetzt worden war, in Buchform zusammenzuschreiben, und zweifellos sind diese vielen Übersetzungen dem tieferen Sinn der originalen magischen Schriften nicht eben gut bekommen.
In dieser Zeit kam auch das Wort vom "Okkultismus" erstmals im Zusammenhang mit der Magie auf, als Agrippa von Nettesheim seine Schriften mit "De Occulta Philosophica" ("Von der verborgenen Wissenschaft") betitelte [1]. Viele weitere Autoren folgten bis in die Neuzeit, die nur zu oft einfach voneinander abschrieben.
Die folgenden Kapitel sollen nun beleuchten, inwiefern diese ursprünglich von Priesterinnen und Priestern betriebene Kunst, die, so umstritten sie auch sein mag, heute unzweifelhaft noch immer betrieben wird, sich von anderen, möglicherweise verwandten Disziplinen abgrenzen läßt. Das wird natürlich Fragen nach psychosomatischen Effekten ebenso berühren wie physikalische Gesetze. Auch die Frage, was moralisch vertretbar ist und ob es lohnt, Magie aus Büchern zu betreiben, wird im Lauf dieses Manuskriptes behandelt werden.
Am Schluß werden wir versuchen, die Frage zu beantworten, ob und in welchen Grenzen denn nun die Magie ein Bestandteil der Natur ist - im Sinne Agrippas eben ein "okkulter", also verborgener.

Grenze zur Psychosomatik

Psychosomatische Effekte werden unserer Tage nicht einmal mehr von konservativen Schulmedizinern abgestritten. Nur zu gut dokumentiert sind die Fälle, in denen Patienten nur durch ihren puren Willen selbst von schwersten Krankheiten genesen sind. Andere Krankheiten sind oft durch ein kompliziertes Wechselspiel mit psychischen Faktoren verbunden. Der Geist des Menschen hat ganz offensichtlich einen erheblichen Einfluß auf das körperliche Geschehen, ohne daß die Pathologie dafür irgendwelche verantwortlichen Organstrukturen finden könnte.
Nun wäre es sicher verfehlt, simple psychosomatische Effekte schon als Magie zu bezeichnen. Dennoch gibt es auch eine ganze Reihe von mittlerweile anerkannten Heil- und Behandlungsmethoden, die auf geistige Weise funktionieren, wie etwa das "Reiki".
Hypnosemethoden und ihre Einflußnahme auf das Unterbewußte liegen dabei beispielsweise noch nahe bei der klassischen Psychotherapie. Beide arbeiten mit Symbolen des Unbewußten. Hier "braucht" man noch nicht die Magie, um einen Behandlungserfolg zu erklären. Dennoch führen Symbolcodices schon auf eine Grenze zur Magie hin. Der Therapeut, der seinen Patienten zu den Rorschach- Tintenflecken frei assoziieren läßt, könnte dafür auch ohne weiteres einen Satz Tarotkarten verwenden - ebenfalls nichts weiter als ein Symbolcodex. Das eine hat einen Beiklang von Magie, das andere nicht, obwohl doch bei dieser simplen Anwendungsweise in beiden Fällen dasselbe geschieht. Wir stoßen hier zum erstenmal auf die Tatsache, daß die Grenze zur Magie künstlich und nur zu oft willkürlich gezogen ist.
Aber auch in anderen Gebieten des täglichen Lebens stoßen wir schon auf Phänomene, die sich an der Grenze zwischen Psychosomatik und vielleicht doch etwas mehr bewegen. Wohl jede und jeder hat in ihrem oder seinem Leben schon spontan geflirtet. Was passiert dabei eigentlich? Da sieht man kurz einen anderen Menschen, oft auf beträchtliche Entfernung, tauscht kurze Blicke, vielleicht ein Lächeln, man ist sich vielleicht spontan sympathisch, und schon "liegt etwas in der Luft". Man könnte nun argumentieren, daß der Mensch als soziales Lebewesen von der Evolution darauf gedrillt ist, schon minimale Änderungen in Gestik und Mimik des Gegenüber zu interpretieren. Aber funktioniert das wirklich immer? Seien wir ehrlich, selbst in verräucherten, dämmrigen Kneipen, wo man seinen Flirtpartner oft zwischen den vielen Besuchern gar nicht richtig erkennen kann, im Bruchteil einer Sekunde?
Ein anderes Beispiel ist der Autorin selbst aus einer mehrjährigen Praxis in einer klassischen asiatischen Kampfsportart bekannt. Hier wird gelehrt, daß Kampf zuallererst einmal geistig stattfindet. Und in der Tat war es beim Training oft genug so, daß die beiden Partner sich gegenüberstanden und "Druck aufbauten", und der Gedanke "Mist, ich habe verloren" oder, "Ha, jetzt habe ich Dich" durchzuckten einen von beiden schon bevor sich überhaupt jemand bewegt hatte, um einen Schlag auszuführen. Und das ganze funktionierte auch unter einer wattierten Schutzrüstung, die den Körper nicht nur weitgehend verbarg und das Gesicht vollständig verdeckte, sondern mit ihrem Gewicht von etwa 15 Kilogramm auch die Körperhaltung beeinflußte. Wie soll eine Interpretation von Gestik und Mimik dabei noch möglich sein?
Ein anderes Beispiel könnte sich um Beeinflussung anderer Menschen drehen. Es gibt immer wieder Personen, denen "Charisma" nachgesagt wird. Aber was ist das eigentlich? Was ist die Kraft, die Einzelne oder auch ganze Menschenmassen dazu bringt, einem Politiker, einem Rockstar, einem selbsternannten Guru zuzujubeln und bedingungslos zu folgen? Einzig Suggestion oder ist da noch mehr im Spiel? Bei kleinen Gruppen von Menschen, bei denen der persönliche Kontakt zwischen der charismatischen Person und ihren Anhängern gegeben ist, mag eine der Hypnose ähnliche Suggestion ja noch funktionieren. Aber auf einem Rockkonzert mit 20.000 Besuchern sicher nicht mehr. Dennoch ist ein Effekt für jeden, der etwas derartiges schon einmal erlebt hat, nicht zu bezweifeln.
Wir sehen also schon aus diesen wenigen Beispielen (es ließen sich leicht noch mehr finden), daß der Geist des Menschen zu ganz außergewöhnlichen Dingen fähig ist. Der Übergang von Phänomenen, die sich noch ganz einfach mit Begriffen wie "Symbole des Unbewußten" und "Suggestion" erklären lassen, zu anderen, zunächst einmal unerklärlichen, die schon eine Art von Magie darstellen, ist dabei sehr fließend und schwer faßbar.

Physikalische Grenzen

Nachdem wir gewissermaßen im vorigen Kapitel danach gesucht haben, wo die Magie anfängt, werden wir nun unser Augenmerk darauf richten, wo sie aufhört. Natürlich gibt es für eine Magie, die integraler Bestandteil der Natur ist, hier Grenzen, denn es kann nicht möglich sein, mit ihr andere Naturgesetze zu verletzen.
Solche ganz fundamentalen Gesetzmäßigkeiten sind beispielsweise die Erhaltungssätze für Energie und Masse. Sie besagen im wesentlichen, daß die Menge an Energie und Materie, die im Universum steckt, nicht veränderlich ist. Um das anschaulich zu machen, stellen wir uns vor, jemand versucht ein "Magiekraftwerk" zu bauen, um die Energieprobleme der Welt zu lösen. Dieses Kraftwerk soll nichts verbrauchen und keine Abfälle erzeugen, einfach nur mit Magie aus Nichts z. B. Strom erzeugen. Ein edler Plan, aber er wird nicht funktionieren können: die Gesamtmenge an Energie im Universum darf nicht verändert werden. Hier stößt die Magie an ihre Grenze.
Selbstverständlich kann man diesen plumpen Fehler aber vermeiden und die Erhaltungssätze in die Planung mit einbeziehen. Jemand könnte zum Beispiel versuchen wollen, Aladins Wunderschloß mit einem Fingerschnippen entstehen zu lassen, wobei der schon vorhandene Staub in Luft und Boden als Baumaterial dienen soll - Materie wird in diesem Fall nicht neu erschaffen. Ist so etwas möglich?
Um diese Frage zu beantworten, muß man etwas weiter ausholen. Für die Theorie der Magie auf quantenphysikalischer Basis gibt es einen Ansatz im ersten Teil des Liber Kaos [2]. Es würde zu weit führen, hier näher darauf einzugehen, es sei lediglich Carolls Schluß zitiert, daß der Magier bei seinem Wirken im Prinzip nichts weiter tut, als die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses, einzutreten, verändert. In unserem Beispiel bedeutet das, wir müssen untersuchen, wie wahrscheinlich es ist, daß aus zufällig in der Luft vorhandenen Staubteilchen Aladins Wunderschloß entsteht oder ob es überhaupt geht.
Staubteilchen bewegen sich regellos in der Luft, und wenn es windstill ist, führen sie noch immer winzige regellose Zitterbewegungen aus, die sie mal hier- mal dorthin treiben. Das ist als "Brownsche Molekularbewegung" bekannt und läßt sich mit einem Mikroskop leicht beobachten. Die Ursache dafür sind thermische Stöße der Luftmoleküle.
Die Staubteilchen können deshalb im Prinzip an jeden Ort getrieben werden. Und weil das für jedes Staubteilchen gilt, können sie im Prinzip auch jede beliebige Figur bilden. Auch Aladins Wunderschloß! Allerdings läßt sich mit Hilfe der Mathematischen Statistik auch abschätzen, daß man im Mittel sehr lange warten müßte, bis das einmal aus purem Zufall geschieht. Die Lebensdauer unseres Universums reicht dafür nicht aus.
Wenn also mit einer winzigkleinen Wahrscheinlichkeit wirklich ein Wunderschloß aus Staub entstehen kann, dann ist es für den Magier im Prinzip also möglich, diese Wahrscheinlichkeit zu beeinflussen. Im Prinzip - die Autorin glaubt nicht, daß irgendein Mensch auf dieser Welt eine derartige Meisterschaft in der Magie entwickeln kann, um ein entsprechendes Gegengewicht zu der verschwindenden natürlichen Wahrscheinlichkeit zu bilden. Theoretisch ist es also möglich, aber praktisch wird wohl auch weiterhin auf ein Fingerschnippen hin Aladins Schloß nicht dastehen.
Vielleicht wird es den einen oder anderen wundern, daß solche "Hardcore-Physik" wie Quantenmechanik überhaupt Eingang in magische Überlegungen findet. Aber so abwegig ist das nicht, die Wissenschaft kennt im Größenbereich der Atome schon lange Phänomene, die wie pure Magie anmuten: da lassen sich Teilchen nicht mehr fassen oder überwinden unerklärlich scheinbar undurchdringliche Mauern. Und noch weitere Probleme tun sich zumindest in der theoretischen Physik auf, bei denen zum Teil noch erheblicher Erklärungsbedarf besteht, zum Beispiel Zeitreisen mit ihren unlösbar erscheinenden Widersprüchen.
Eine Grenze, die der Magie oft von Seiten der Skeptiker gezogen wird, ist, daß sie "sich nicht messen oder beweisen lasse und deswegen ja wohl nicht existiert". Die Autorin fragt sich, womit man denn Magie wohl messen soll? Vielleicht ist Magie ja eine fundamentale Eigenschaft allein des Geistes, und den zu "messen" tun sich ja schon Psychologen sehr schwer. Es mit einem technischen Gerät tun zu wollen wäre dann etwa so aussichtslos wie das Gewicht einer Wärmemenge zu bestimmen oder die Farbe von Strom zu bestimmen.

Moralische Grenzen

Die Beschäftigung mit Naturgesetzen, wie im vorigen Kapitel, kann die Frage aufwerfen, ob es nicht auch für die Magie gewisse Regeln und Gesetze gibt. Aus ihrer magischen Praxis bejaht die Autorin dies ausdrücklich, obwohl es hierfür vermutlich nie einen Beweis im Sinne der formalen Logik geben wird. Es gibt in Analogie zu den anderen Erhaltungssätzen auch einen Erhaltungssatz für magische Energie, der besagt, daß auch die Menge an magischer Energie im Universum nicht veränderlich ist. Welche wichtigen Konsequenzen das hat, werden wir gleich sehen.
Es ist natürlich nicht möglich, über Grenzen in der Magie zu schreiben und dabei nicht die Grenze zwischen "Schwarzer" und "Weißer" Magie zu behandeln. Viele, die sich mit diesem Thema beschäftigen, fordern ja geradezu, daß bitteschön nur Weiße Magie oder Lichte Magie zu wirken sei. Setzt man einmal voraus, daß mit "Licht" in diesem Zusammenhang stets magische Energie umschrieben wird, magische Energie aber nicht aus Nichts erzeugt werden kann (Erhaltungssatz), dann wird jeder oder jede, der oder die Weiße Magie zu wirken versucht, die magische Energie dafür irgendwoher nehmen müssen. Das heißt, irgendwo erzeuge ich auch magisches "Dunkel", wenn ich doch eigentlich nur magisches "Licht" schaffen will. Licht wirft eben immer auch Schatten, und man erkennt daran auch, wie untrennbar sich Weiße und Schwarze Magie zu einer einzigen Magischen Kraft verbinden. Wer das eine will, bekommt immer auch das andere. Die Autorin berichtet hier aus eigener leidvoller Erfahrung.
Das Beispiel zeigt aber auch, was für ein zweischneidiges Schwert die Magie überhaupt ist. Da immer ein Austausch von magischer Energie stattfinden muß, ist jede Magie eine Wechselwirkung. Jede Verbindung, die ich aufbaue, funktioniert immer in beiden Richtungen. Das heißt, daß ich alles, was ich jemand magisch zu schicken beabsichtige, unweigerlich von dort auch zurückbekommen kann, und zwar selbst dann, wenn mein Ziel gar nicht magisch begabt ist. Alles, was zählt, ist die Verbindung, die beiderseitig ist, und es ist egal, wer sie hergestellt hat. Es ist dieser Mechanismus, der hinter den bekannten "Hexen"-Regeln "Alles, was Du wirkst, bekommst Du zurück" und "Tu, was Du willst, aber schade niemand" steckt.
Nun könnte man meinen, mit diesen Regeln sei einem Mißbrauch der Magie weitgehend automatisch ein Riegel vorgeschoben. Leider ist dem nicht so, denn zum einen ist in allen Bereichen des menschlichen Lebens die Defintion, was "gut" und was "schlecht" ist, doch sehr subjektiv. Zum anderen wird sich jemand, der einem Opfer magischen Schaden zuzufügen sucht, zwar automatisch selbst mit in den Untergang reißen. Das ändert aber nichts am unverdienten Schaden für das Opfer.
Es darf nicht übersehen werden, daß die Fähigkeit zur Magie mehr oder weniger reale Macht verleiht. Und Macht bringt leider meist sehr schnell die unschönen Eigenschaften eines Charakters an die Oberfläche. Dieses Problem wird verstärkt durch die Tatsache, daß ja die meisten unserer Mitmenschen überhaupt nicht an Magie glauben; sie sind gewissermaßen blind dafür, obwohl sie das im allgemeinen nicht unempfänglich für die Auswirkungen der Magie macht. Die Fähigkeit, Magie zu wirken, läßt sich somit bildlich damit vergleichen, als ob man ständig mit einem scharf geladenen Gewehr herumläuft. Zu allem Überfluß ist das Gewehr auch noch unsichtbar und mit einem Superschalldämpfer ausgerüstet, so daß man es unbemerkt von den meisten Menschen abfeuern kann. Und jemand, der sehr routiniert im Umgang mit der Magie ist, wird sich oft fühlen, als wäre die Hand daran mit dem Finger am Abzug angewachsen, so daß man es nicht einmal einen Augenblick lang weglegen kann und obendrein noch aufpassen muß, es nicht aus Gedankenlosigkeit abzuschießen und Unschuldige zu verletzen.
Dieses zugegebenermaßen etwas krasse Beispiel deutet darauf hin, daß ein genügendes Maß an innerer Reife unabdingbar ist, wenn ein Mensch sich ernsthaft mit Magie beschäftigen will. Das ist die wahre moralische Grenze. Ganz und gar ist es abzulehnen, junge Menschen zu unterweisen, wenn diese nicht mindestens die kritischen Jahre der Pubertät sicher überstanden haben.

Mechanistische Grenzen

In der modernen Magie spielen in der Vorstellung vieler Menschen geheimnisvolle Magiebücher eine große Rolle. Oft wird sich zu der naiven Ansicht verstiegen, bereits der Besitz eines solchen Buches reiche aus, um magische Macht zu erhalten, oder doch mindestens, um die darin enthaltenen Zauber nach Art eines Kochrezeptes einfach nachmachen zu können. Und in der Tat ist die einschlägige Sparte des Buchmarktes mit "geheimen" Werken dieser Bauart geradezu überschwemmt.
Aber kann ein solches "mechanisches" bzw. "mechanistisches" Nachmachen denn überhaupt funktionieren? Im Prinzip ist Magie doch ein rein geistiges Phänomen, bei dem rituelle Handlungen nicht mehr und nicht weniger bewirken können, als den eigenen Geist entsprechend einzustimmen. Aber eine solche Einstimmung ist doch sicher stark von der subjektiven Persönlichkeit des Magiers, seiner oder ihrer momentanen Stimmung und den näheren Umständes des Rituals geprägt. Ganz sicher können also Ritualanleitungen der Bauart "dies und jenes muß genau so und so gemacht werden" doch wohl nur geringen Wert haben. Ritualbeschreibungen können immer nur als Anregung zum Selbermachen verstanden werden. Das meint auch Agrippa, wenn er schreibt, "wenn aber dennoch nicht alle Gestirne so günstig stehen, dann wird es Dir trotzdem gelingen, wenn Du nur daran glaubst, daß es gelingt" [1].
Die Autorin geht sogar noch weiter und schließt sich Kurt Aram an [3], der ausführt, warum jegliches "verstandesgesteuertes" Lernen der Magie abträglich ist. Gerade in unserer modernen Zeit bekommen wir alle schon sehr früh in der Kindheit beigebracht, was "es nicht gibt" und "was vernünftig ist". Und dann haben wir unsere liebe Not, den übermächtigen Verstand auszutricksen, damit das intuitive Wissen und die Wahrnehmung der Natur um uns herum einschließlich der magischen Ströme überhaupt noch zum Zug kommen kann. Von kleinen Kindern kann man noch lernen: "Du mußt nur fest genug dran glauben, dann wird's auch wahr" - und das ist der Fundamentalsatz der Magie überhaupt. Doch schon im schulpflichtigen Alter ist der kindliche Wunderglaube dahin.
Auch diese Feststellung hat wieder überraschende Konsequenzen. Wenn also ein regelrechtes "Studium" der Magie in sich geradezu widersinnig ist, dann haben auch die immer noch existierenden Magierbünde und "geheimen" Orden und Konvente eigentlich keinen Wert für diejenigen, die sich magisch entwickeln wollen. Die Arbeit solcher Orden erschöpft sich nach der Erfahrung der Autorin denn auch im Aufbau strenger Hierarchien und Gradsysteme - natürlich nicht ohne die entsprechende Wichtigtuerei und interne Intrigenspielchen. Wer's mag, bitteschön, aber mit Magie hat das sicher nichts zu tun und ist ihr eher hinderlich. Auch dies ist eine Grenze an unerwarteter Stelle.

Schluß

Die Grenzen der Magie haben sich in den vorliegenden Kapiteln teils als sehr diffus, teils als künstlich herausgestellt, und teilweise sind wir überraschend auf sie gestoßen.
Der Übergang von Grenzbereichen der Psychotherapie, Hypnose und naturheilkundlichen Verfahren zu geistigen Kräften und in den Bereich der Magie ist sehr allmählich, und auf der anderen Seite der Skala fügt sich die Magie als Ergänzung konsistent in das naturwissenschaftliche Weltbild ein, wenn fundamentale Naturgesetze beachtet werden. Gleich diesen gehorcht auch die Magie bestimmten Gesetzen, die ein Magietreibender beachten muß, will er oder sie nicht sich und andere gefährden.
Die oft beschriebene Grenze zwischen Weißer und Schwarzer Magie erweist sich als künstlich und von wenig Wert, und weniger die Konzentration auf ein bestimmtes Teilgebiet der Magie ist ratsam als vielmehr verantwortungsvolles Handeln einer reifen Persönlichkeit mit der gesamten Bandbreite der Magie. Es spielt dabei keine Rolle, wie genau die Magie gewirkt wird - ob im klassischen Ritual, schamanistisch oder naturverbunden, religiös durch Gebete oder auch rein virtuell. Ebenso spielt keine Rolle, woran die magischen Fähigkeiten wachsen, solange restriktive Gemeinschaften und strenge Vorschriften gemieden werden. Der Verstand ist das, was dem magischen Arbeiten die eigentliche Grenze setzt.
Der Schluß aus alledem ist insofern überraschend, als daß er aufzeigt, daß Magie an sich prinzipiell nicht "lernbar" ist. Vielmehr sollte sie intuitiv betrieben werden, stets bereit, mit und an ihr zu wachsen und Anregungen aus der gesamten Umwelt aufzunehmen, aus Gefühlen, Träumen, der Natur - und erst in zweiter Linie aus weitergegebenem Wissen.
Dann wird die eigene Persönlichkeit im Laufe eines Lebens so manche scheinbar unüberwindliche Grenze überschreiten können.

Referenzen
[1] Agrippa von Nettesheim, De Occulta Philosophica. Libri Tres.
     Mecheln, 1531.

[2] Peter J. Caroll, Liber Kaos.
     York Beach, 1992.

[3] Kurt Aram, Magie und Zauberei der Alten Welt.
     o. O., 1927.

© 2001 Diane Neisius



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