Hestia


Markus Moser (Frater Eo Ipso)

In den Herzen der Menschen gibt es einen besonderen Ort. Ein verborgener, geschützter Ort und für alle Zeiten geheiligt. Diesen Ort, den wir in unseren Herzen tragen ist unser Zuhause und wird von der jungfräulichen Göttin Hestia beschützt. Dein wahres Zuhause ist immer dort, wo dein Herz ist und daher ist auch Hestia bei dir, wo immer du auch sein magst.

Der Herd und das Heim


"Gesegnete Göttin des Herdes und Beschützerin des Heims". So wurde Hestia in früheren Zeiten genannt.

Hestia wird in den griechischen Mythen kaum erwähnt. Homer z.B. erwähnt sie nicht, aber Hesiod bezeichnet sie als die erstgeborene Tochter der Rhea und des Kronos und sie wurde als älteste Göttin des hellenischen Pantheon verehrt. Auf dem Olymp nahm sie deshalb in gewisser Weise den Vorsitz ein und war von den anderen Göttern, sogar von Zeus, beson­ders geachtet und wurde in allen Tempeln mit verehrt.

Einst verliebten sich Apollon und Poseidon in Hestia und warben um sie, so der Mythos. Aber die Göttin wies sie ab und als sie von Apollon und Poseidon verfolgt wurde, floh sie zu Zeus und schwor, indem sie sein Haupt berührte, immer Jungfrau zu bleiben. So gehörte Hestia mit Artemis und Athena zu den jungfräulichen Göttinnen, die nie eine Beziehung zu einem Mann hatten, was im hellenistischen Sprachgebrauch bedeutet, dass sie nie von einem Ehemann vereinnahmt worden ist und ihre Kraft und ihre Unabhängigkeit nie einem Herrn oder Meister übergab.

Hestia1 (lateinisch: Vesta) personifiziert die Sicherheit des Hauses und den fami­liären Frieden.

Wie ihr Name verrät (Hestia = Herd), ist sie die Schutzpatronin des Herdes, des Feuers, das in der Mitte eines jeden Hauses brannte, wo die Mahlzeiten zubereitet und die Öllampen entzündet wurden, wenn das Dunkel der Nacht hereinbrach. Die Feuerstelle war schon seit der vorgeschichtlichen Zeit zugleich ein Hausaltar, auf dem alle Familienmitglieder der Schutzgöttin Opfer brachten. Im ständig brennenden Feuer war die Anwe­senheit der Hestia jeden Augenblick spürbar.

Wie Hephaistos, ist Hestia eine Feuergöttin, aber eine Gottheit der wohltätigen Kraft des Feuers, des sanften Lichts, das verborgen scheint, aber niemals vergessen werden kann. Sie ist das sanfte Licht einer Kerze, eines Altarfeuers oder eines Herdes, die brennende Flamme der Leidenschaft, die sich im Schlagen eines jeden Herzens verkörpert, das sich ein Heim zu schaffen versucht, unwichtig wo es ist, wie es aussieht, oder wie bescheiden es auch sein mag.

Sie ist der Herd, um den die Kinder rannten, als sie offiziell in die Familie aufgenommen wurden und der Herd, durch den Demeter in Eleusis dem kleinen Jungen Demophon die Unsterblichkeit zu schenken versuchte.

Da die Stadtgemeinde als eine Erweiterung der Familie angesehen wurde, hatte jede griechische Stadt einen Hestiakult. Im Amtshaus Prytaneion, dem Mittelpunkt des öffentlichen Lebens, gab es einen Hestia-Altar, auf dem die gemeinsame Flamme der Bürger nie verlöschte. Am heiligen Herd (Prytanis) der Stadt fanden die Schutzsuchenden Asyl, hier wurden den Göttern Opfer gebracht, sowie Gesandte und Fremde empfangen. Wenn die Männer in den Krieg zogen oder die Kolonisten ihre Heimat verliessen, um eine neue Niederlassung zu gründen, nahmen sie Feuer vom Altar der Hestia mit.

Hestia wurde aber nicht nur von den einzelnen Stadtgemeinden verehrt, sondern auch in dem grossen Heiligtum von Delphi, dem Ort, der als Nabel der Erde und damit als Mittelpunkt von Hellas und der ganzen Welt galt. Neben dem Stein, der den Erdnabel symbolisierte, brannte das Feuer der Hestia auf dem gemeinsamen Herd aller Griechen. Die Herdgöttin war also nicht nur die Beschützerin des Hauses, sondern auch Bewahrerin des ganzen Kosmos, in dessen Mittelpunkt sie ihren Sitz hatte.

Auch heute verkörpert sich Hestia immer noch in unserem Heim, an unserem Esstisch, um den sich die Familie und Freunde versammeln, im Herd, auf dem das Essen zubereitet wird, im sanften Schein der heiligen Flamme einer einfachen Kerze, die das Altarlicht verkörpert und im wilden, rhythmischen Herzschlag eines jeden Menschen.





Zuordnungen


Hestia schenkt dir die Erkenntnis, wie wichtig ein Zuhause und das Familienleben, ein gutes Essen und häusliche Ruhe ist. Wo Zorn ist, beruhigt sie ihn, wo Unfriede ist, beendet sie ihn. Die Bande der Familie und der Freundschaft sind das Wichtigste in den Augen der Göttin.

Beinamen:

Boulaia (vom Rat), Prytaneia (vom Prytanis)

Symbole:

Feuer, der Herd, das Altarlicht

Tiere:

Keine

Opfer:

Gewürze, Trankopfer

Grundlegende Kultzentren:

Der Herd eines jeden Hauses, der Prytanis, der zentrale Herd einer jeden Stadt, Delphi, Athen, Delos

Feste:

Trankopfer vor jedem Essen und jedem Ritual

Wege Sie zu ehren:

Mache dein Heim so einladend und gemütlich wie möglich. Sei gastfreundlich und stolz auf dein Zuhause, wie bescheiden es auch immer sein mag. Lade Mitmenschen zu dir nach Hause ein und teile dein Essen und Gemütlichkeit mit ihnen. Nutze jede Möglichkeit deiner Familie und deinen Freunden zu zeigen, wie wichtig sie für dich sind. Giesse ein Trankopfer vor jedem Essen und jedem Ritual ihr zu Ehren aus. Halte eine Lampe, eine Kerze oder ein Herdfeuer am Brennen um Hestia zu ehren.


An Hestia, Göttin des Herdfeuers


Tochter von Rhea und Kronos, ehrwürdige Dame,

dein Thron trägt die kosmische Flamme.

Dein sind in den heiligen Riten die Priesterinnen und Priester,

die Mysten, gesegnet sind sie, heilig und rein.

In dir haben die Götter ihren Wohnsitz,

eine beständige Grundlage der menschlichen Rasse.

Ewiglich Formende, erstgeborene, urälteste Göttin,

du Feuer, um das sich die Familie versammelt.

Immer blühende Königin, im Mittelpunkt des Kosmos thronend,

lachend und segnend mit lieblichem Antlitz.

Empfange diese heiligen Riten und gib uns Leidenschaft,

Wohlergehen und heimischen Frieden.

*


An Hestia, die Mutter der Gottheiten


Mutter der Götter, grosse Amme von allem,

komm, Gesegnete und neig dich uns zu.

Du thronst auf einem Wagen, von wilden Löwen gezogen,

du hältst den Zepter der göttlichen Pole

und bist der Welten Mitte.

Aus dir entspringen Götter und Menschen,

aus dir fliesst die See und jeder Fluss.

Du teilst deine Speise mit den bedürftigen Menschen,

denn du bist Hestia genannt, die Quelle alles Guten

und so frohlocken die sterblichen, gutmütigen Menschen

beim Hören deines Namens, jauchzend entzückt.

Mächtige Kraft, alles-bändigende,

gesegnete, phrygische Erlöserin, komm!

Grosse Königin, die sich am wilden Trommelschlag erfreut,

himmlische, alte, lebensspendende Jungfrau.

Komm, eifrige Göttin

und schau mit freundlichem Blick auf unser göttliches Opfer.

*


1 Ihr Name wird vermutlich von einer indogermanischen Wurzel abgeleitet, die "brennen" bedeutet. Möglicherweise wird im Hestiakult auch ein vorhellenischer Herdkult weitergeführt.

© 2003 Markus Moser (Frater Eo Ipso).


© 2003 Medusa Iseum