Diana und Callisto

Lesben und Spiritualität

von

Diane Neisius

Eigentlich hatte es in der Zeit der Frauenbewegung so schön angefangen: wenn die Kirche uns nicht haben will - na und? dachten sich viele Lesben und machten sich allein auf die Suche, die Göttin, ihre Spiritualität, das Hexentum (oder welche Bezeichnung sonst noch für eine geistige Suche geeignet ist) wiederzuentdecken. Die Welt, in der die etablierten Kirchen Homosexualität als Sünde verdammten, während die Heiden als über alle Maßen tolerant galten, sah ganz einfach aus. Leider hat sich herausgestellt, daß die Rechnung nicht so einfach ist.
Zunächst einmal muß zur Ehrenrettung der Christen gesagt werden, daß es in einigen Gemeinden inzwischen eben doch Queer-Gottesdienste gibt. Hier ist die Basis offenbar schon weiter, als die Zentrale in Rom das gerne hätte. Andererseits haben viele spirituell arbeitende Homosexuelle festgestellt, daß sie in manchen größeren Heidengruppen doch nicht so willkommen waren. Ein Queer-Heidentum scheint es nach Kenntnis der Autorin zumindest für Lesben noch überhaupt nicht zu geben.
Wie sieht das nun im Detail aus? "Natur ist die Vereinigung von Göttin und Gott", konnte frau da in manchen Wicca-Covens hören, denen sie sich anschließen wollte, "und was ihr da macht, ist nicht natürlich." (Auch zur Ehrenrettung der Wiccas sei angemerkt, daß eine ganze Reihe von ihnen kein Problem mit der sexuellen Orientierung anderer Menschen haben.) In deutschen Heidenkreisen sind darüberhinaus leider eine Menge Leute unterwegs, deren Hobby-Keltentum sich entweder auf Asterix-Niveau bewegt oder aber kernig-nordisch in bedenkliche Nähe zu braunem Gedankengut rückt. Neuere Forschungsergebnisse, nach denen es nicht wenige keltische Kriegerinnen gab, oder Statements antiker Autoren wie Poseidonios, nach denen "die Kelten mehr den Knaben zugetan sind" (von Frauen ist hier leider wieder mal gar nicht erst die Rede) werden von diesen Kreisen nur äußerst ungern zur Kenntnis genommen. Und schließlich sollten wir nicht vergessen, daß einige Begründer des Neuheidentums wie Gardner oder Crowley eben Männer mit viktorianischer Erziehung waren, deren sexuelle Phantasien sich darin entluden, sich mit leichtbekleideten Novizinnen zu umgeben. Insofern steckt eben auch in Teilen der heidnischen Religion die übliche Frauenverachtung und Homophobie, die wir zuweilen noch erfahren.
Berechtigt ist diese nicht. Die griechisch-römische Mythologie beispielsweise ist voll von bekannten Beispielen, daß die Göttinnen und Götter es auch gern gleichgeschlechtlich trieben. Als beispielsweise Zeus der "Lieblingsnymphe" Callisto der Göttin Diana nachstellte, schaffte er es, sie zu überlisten (und zu schwängern), indem er sich Diana's Gestalt gab und "bei ihr lag". Frau sieht daran, daß Callisto wohl ein bißchen mehr war als nur Lieblingsnymphe, wenn sich die Dinge so entwickelt haben... Nicht zuletzt war da noch Sappho, Priesterin der Aphrodite, und alle, die ihre wunderbare Ode an die Göttin gelesen haben, wissen, daß Aphrodite nicht nur die Göttin der heterosexuellen Liebe war.
In der spirituellen Praxis gibt es ebenfalls keinen einzigen Grund zur Ausgrenzung von Lesben, wenn frau nicht als feministische Hexe allein unterwegs ist, sondern sich einer Gruppe anschließen möchte. Die Autorin kann hier aus eigener Erfahrung berichten, denn sie ist seit mehreren Jahren ordinierte Isispriesterin in einer größeren Mysteriengemeinschaft und bildet selbst junge Frauen aus. In Meditationen mit Isis und Osiris nimmt sie oft (nicht immer!) den Gott Osiris als weiblich wahr. Das Unterbewußtsein einer lesbischen Priesterin verschlüsselt die starke Liebe zwischen zwei transzendenten Wesenheiten hier also ganz natürlich in einem Bild der Liebe zwischen zwei Göttinnen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß es jenseits der materiellen Welt keine scharfen Abgrenzungen, auch nicht der Geschlechtszuordnung, mehr gibt. Osiris enthält eine weibliche Seite ebenso wie jeder andere Gott und wie die Göttin eine männliche enthält. Ein zwanghaft heterosexuell ausgerichtetes Ritual entbehrt damit aber absolut jeder Grundlage.
Fazit ist also, daß die Homophobie (und damit die Ablehnung von Lesben) in spirituell arbeitenden Gruppen und bei den Ausübenden der heidnischen Religionen genausoviel oder -wenig verbreitet ist wie bei den etablierten Religionen oder in allen anderen Bereichen der Gesellschaft auch. Die Akzeptanz wächst langsam, denn auch bei der spirituell-religiösen Arbeit stellt sich Homosexualität als genauso normal wie anderswo heraus. In die "Hölle" kommen wir Lesben also ganz sicher nicht, sondern höchstens vielleicht zu Diana und Callisto auf die Elysischen Felder, dem Paradies der alten Griechinnen und Römerinnen...


Erstveröffentlichung in: "Lexplosiv - für Münsters Lesben", Nr. 10(2004)



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