Über Magie

Diane Neisius


Der vorliegende Text ist ein Auszug aus einer Mail, in der ich im Mai 2002 jemand meine Meinung zum Thema "Magisches Arbeiten" auseinandergesetzt habe und der vielleicht auch für andere interessant ist. Die Diskussion ging darum, eine in Konkurs gehende Firma mit 2000 Angestellten durch Magie vielleicht doch noch zu retten.
Habe ich vor kurzem in den Tiefen meines PC wiedergefunden...

~D.N.


(...)
Nun aber zu einem ewigen Disput zwischen uns, nämlich der Magie. Hier haben wir in der Tat sehr verschiedene Auffassungen, und ich will Dir meine Sicht der Dinge einfach mal darlegen. (...)
Ich finde es in Ordnung, in der "Kleinen Magie" jemand der krank ist, einem Tier in Not, einer gefährdeten Pflanze ohne großes Nachfragen Energie rüberzuschieben. Das ist billig und recht, dafür sind wir als Priester/innen auch da, die Hand der Göttin lokal vor Ort. Anders aber ist das, wenn es um die Beeinflussung größerer Zusammenhänge geht, beispielsweise einer Firma mit ca. 2000 Mitarbeitern. Warum ist das ein Unterschied, höre ich jetzt fragen.
Nun, die Zusammenhänge sind in diesem Fall ein wenig komplexer. Der Weltwirtschaftsraum besteht nicht nur aus dieser Firma und der (...)-Bank, die sie im Würgegriff hält. Beide sind nur zwei winzige Rädchen in dem riesigen Getriebe Weltwirtschaft, und keins davon ist unabhängig. Wer weiß, in welche Machenschaften besagte Firma verwickelt war, ohne daß jemand außerhalb der Vorstandsetage davon erfahren hat? Bei so komplexen Systemen haben kleine Ursachen oft große Wirkungen, und vielleicht hätte die Weltwirtschaft *mit* besagter kleiner Firma sogar noch ein klein wenig effizienter unseren gebeutelten Planeten ausplündern können? Wer von uns beiden soll das beurteilen können?
Ein anderer Punkt ist viel weniger global, sondern dreht sich um die beteiligten Menschen. Es ist bei 2000 Kollegen einfach nicht mehr möglich, die Sorgen, Wünsche und Träume jedes einzelnen zu berücksichtigen, wie [es] bei einer Einzelperson möglich wäre. Wie sollen wir wissen, ob nicht für 1001 von ihnen es langfristig ihr persönliches Glück steigert, einen anderen Job zu haben, in eine andere Stadt zu gehen, dort die Liebe ihres Lebens zu finden etc., alles Dinge, die nie passiert wären, wenn besagte Firma überlebt hätte. Natürlich wird das vorab kaum jemand der Betroffenen sehen wollen; Menschen neigen zu einer unglaublichen Bequemlichkeit und dem Festhalten an dem, was sie haben, selbst wenn ganz offensichtlich ihr Glück in einer ganz anderen Richtung liegt. Und es gibt auch nicht wenige graue Mäuse, die erst in Krisensituationen an ihren Aufgaben wachsen - oft genug über sich hinaus.
Daran ändert auch nichts (...), wenn Du immer erst die Götter als Filter oder Kontrollinstanz vorschalten willst. Magie hat für mich sehr viel mit Eigenverantwortlichkeit zu tun, und meine Erfahrung ist, daß der Zugriff auf die Höhere Magie von Isis und Osiris erst freigegeben wird, wenn man seine Reife und Verantwortlichkeit an kleineren Werken bewiesen hat. Bei den Katholiken nennt man das wohl "Gott will uns prüfen", und ich halte es für weithin mißverstanden, denn die Aufgabe ist nicht, "Herr verschone mich" zu murmeln und Abbitte zu leisten, sondern sich der Herausforderung zu stellen. Sonst landen wir am Ende bei der Art von bigotten Magie, wie sie die Katholiken heute praktizieren: niemand darf mehr etwas selbst tun, sondern muß für wirklich jede kleine verlorene Nähnadel den Schöpfergott selbst per Gebet bemühen. Dafür gedeiht der Reliquienhandel dann umso mehr.
Und um auf das Stichwort "Herausforderung" zurückzukommen, das hat zumindest bei mir in vielen Fällen bei mir bedeutet, eben *nicht* einzugreifen.

Mir wird ja gelegentlich unterstellt, ich sei zu sehr auf der Schiene der "Crowleyanischen Wicca-Magie" [??? - was auch immer das sein soll, ~D.N.]. Genau das ist nicht der Fall. Ich habe ein sensibles Inneres (...) und es hat mir in den vergangenen Jahren oft weh getan, wenn ich gesehen habe, wie unsere schöne Erde mehr und mehr zum Mülleimer verkommt. Wie oft war ich kurz davor, etwas zu tun! Ja, und wenn ich's getan hätte? Wenn ich angefangen hätte, mit Shiva zu tanzen, wie ich so oft geträumt habe, glaubst Du, es hätte irgend etwas geändert? Natürlich könnten wir hingehen und rund um den Globus ein Chemiewerk nach dem anderen abfackeln. Na toll. Mal abgesehen von der Verseuchung, glaubst Du den Konzern, dem das Werk gehört hat, schert das groß? Was kümmert multinationale Konzerne ein Verlust von 500 Millionen, noch dazu, wenn sie versichert sind? Mit einem Lächeln hätten sie das Werk ein paar Kilometer weiter wieder neu erbaut. Was wäre gewonnen? Nichts.
Und selbst wenn solche grobmotorische Magie zum Ziel führen würde und es rund um die Welt nur noch Giftruinen gäbe, wolltest Du die Verantwortung übernehmen, daß dann eben auch rund um Dich herum die Menschen wieder an Grippe und Lungenentzündung sterben müßten, weil es nämlich auch keine Medikamente mehr gäbe? Ich nicht.

(...)

Ich glaube, daß es einen guten Grund dafür gibt, daß Isis sich in der Spätantike zurückgezogen hat. Mit Leichtigkeit hätte sie doch ihrem Kult zum Übergewicht gegenüber den Christen, damals doch nur eine Sekte, verhelfen können. Sie hat es nicht getan. Aus der Sicht der damaligen Isispriester/innen sicher unverständlich, und vielleicht haben einige von ihnen - das Beste wollend - massivst dagegen gearbeitet mit ihrer Magie.
Doch Isis hat vielleicht einfach gesehen, daß ein Staatskult in Rom eben zwangsläufig zur Tyrannei der Priesterschaft und Entmündigung der Menschen führt. Wäre wirklich alles anders, wenn dort heute Johanna-Paula die Zweite auf dem Vatikan vor sich hindämmern würde? Ich glaube nämlich nicht. Nur daß Mord, Menschenhandel und Krieg eben im Zeichen des Ankh und nicht des Kreuzes geführt worden wären. Für uns heute, fast zwei Jahrtausende danach, mag das einfach nachzuvollziehen sein. Aber selbst für gebildete Zeitgenossen war es das sicher nicht. Deswegen bin ich auch so vorsichtig, ehe ich irgendetwas in Bewegung bringe, und ehrlich gesagt ist es so, je größer der Magiepool, auf den ich Zugriff habe, umso weniger Magie mag ich noch wirken.

Na gut, diese Ausführungen sind jetzt weiter gegangen, als ich eigentlich wollte, und ich bin mir ziemlich sicher, Du stimmst nicht mit mir überein. Aber vielleicht geben meine Gedanken Dir in einer stillen Stunde etwas, um die Deinen daran zu reiben.

(...)



© 2004 Medusa Iseum