Sympathische Wimpern


Melanie Roth


Es mutet seltsam an, dass in diesen Tagen, die von Wissenschaft und christlicher Kirche geprägt sind, Menschen nach wie vor "abergläubische" Gesten vollziehen. Was für viele eine Alltäglichkeit ist, die sie ohne nachzudenken begehen, ist bei näherem Betrachten eine sehr alte rituelle Handlung.
Beispielsweise glauben viele Menschen, dass ein Wunsch in Erfüllung geht, wenn sie eine ausgefallene Wimper erfolgreich wegpusten. Der Glaube geht im allgemeine soweit, dass die Menschen betroffen sind, wenn die Wimper sich nicht wegpusten lässt. Sie denken, dass ihnen nun der soeben ausgesprochene Wunsch nicht erfüllt wird.
Psychologisch lässt sich dieses Phänomen eventuell damit erklären, dass der sich ständig wiederholende Wunsch zu einer Dringlichkeit im Unterbewusstsein führt. Der Verfasserin dieses Textes fällt circa einmal in der Woche eine Wimper aus - legt sie dies als statistisches Mittel zu Grunde, so ergibt sich daraus eine sehr hohe Frequenz des Wünschens. Das Denken an oder Aussprechen eines Anliegens in dieser quantitativen Intensität vermittelt dem Unterbewusstsein gleichsam eine Dringlichkeit, so dass die Chance auf "Erfüllung" beträchtlich steigt. Der Mensch wird sich auf der bewussten Ebene stärker der Erledigung dieser Aufgabe (der Erfüllung des Wunsches) widmen. Früher, als das Lenken von Energien und das Wirken von Magie als normal und zum Leben dazugehörend anerkannt waren, vollzogen die Menschen solche Handlungen bewusst. Das Davonpusten einer ausgefallenen Wimper verbunden mit einem Wunsch stellt eine sympathisch-magische Handlung dar. Der Glaube "im Kleinen, wie im Großen" findet hier seinen Niederschlag. In vielen magischen Systemen besteht die Annahme, dass sich der Mikrokosmos im Makrokosmos widerspiegelt - das schliesst den Glauben mit ein, dass eine im Mikrokosmos rituell durchgeführte Handlung sich durch die bestehende astrale Verbindung im Makrokosmos vollzieht. Wichtige Anliegen wurden und werden als Wunsch an Göttin/Gott/Elementarwesen und andere formuliert und mit einer sympathisch-magischen Handlung bewusst symbolisiert. Das so im Kleinen Vollzogene kann sich im Großen gleichermaßen vollziehen und führt so zum erhofften Ergebnis. Es ist dabei wichtig, die sympathischen Handlungen so genau zu wählen, dass das gewünschte Ergebnis erzielt werden kann bzw. dass sich nicht andere Dinge aufgrund ungenauen Arbeitens verändern. Zum Beispiel sollte der Wunsch nach Heilung die exakte Körperstelle deutlich machen, die der Heilung bedarf, sonst wird zum Beispiel ein Mensch mit Rückenschmerzen, der ganz allgemein um Heilung bittet, vielleicht mit einem ruhigen Schlaf gesegnet. Dieser Mensch wird unzufrieden sein, da sich sein Wunsch nach Linderung seines Rückenleidens nicht erfüllt hat und den gesunden Schlaf nicht mit dem allgemeinen Wunsch nach Heilung in Verbindung bringen.

In der heutigen Zeit gilt Magie als Spinnerei und Heidentum als verwerflich. Heiden sind immer mit dem Teufel im Bund (die meisten, von der christlichen Kirche als Heiden betitelten, Menschen glauben an andere, meist viel ältere Gottheiten, als an den Gott der Christen - wie soll somit ein Mensch, der den christlichen Gott und die damit verbundenen Lehren nicht trägt, dem Gegenspieler dieses Gottes anhängig sein? Mangelnder Glaube an den biblischen Gott impliziert gleichermaßen einen mangelnden Glauben an den biblischen Teufel). Doch dass das Wissen um die alten Bräuche nicht gänzlich verloren gegangen ist, sieht man nicht nur an der stetig wachsenden Zahl derjenigen, die auch in der heutigen Zeit nach alten Traditionen leben. Auch die sogenannten Wissenschaftler und Christen pusten ausgefallene Wimpern hinfort und verknüpfen dies mit einem Wunsch - sie wissen zwar nicht, warum sie das tun, und sicherlich mangelt es auch an der korrekten sympathisch-magischen Handlung - aber dennoch tragen sie das Wissen um solche Bräuche in sich und entlocken der Verfasserin hin und wieder ein Schmunzeln...

© 2004 Melanie Roth



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