Am 12. Februar 1947 ereignete sich an der sibirischen Pazifikküste einer der
interessantesten Meteoritenfälle des 20. Jahrhunderts. Bei klarem Winterwetter
raste um 10:38 Ortszeit ein gleißender Feuerball, heller als die Sonne, über
den Himmel und brach kurz vor Erreichen der Erdoberfläche unter mehrfachem
donnernden Krachen auseinander. Ungefähr 100 Tonnen meteoritischen Materials
wurden in zehntausenden von Fragmenten im Nadelwald des Sikhote-Alin- Gebirges
nördlich von Wladiwostok verstreut, größere Bruchstücke schlugen Krater mit
bis zu 26 Meter Durchmesser.
Dieses Ereignis gehört zu den bestuntersuchten Meteoritenfällen überhaupt, und
doch wurde im "Westen" lange Zeit wenig oder nichts davon bekannt, was sich in
den letzten Jahren glücklicherweise geändert hat.
Die wahrscheinliche ehemalige Umlaufbahn des Sikhote-Alin- Meteoroiden gleicht
der vieler kleiner Körper im Sonnensystem. Es handelt sich um eine Ellipse,
die in ihrem sonnenfernsten Punkt bis in den Asteroidengürtel des
Sonnensystems hinausführt. Das spricht für den Ursprung des Körpers von dort;
möglicherweise ist er bei Kollisionen von Asteroiden untereinander erzeugt
worden. Auf seiner 1132 Tage dauernden Umkreisung der Sonne befand sich der Meteoroid übrigens jeweils nur für zwei Tage innerhalb der Erdbahn. Das nebenstehende Diagramm zeigt die Situation ungefähr einen Monat vor der Kollision mit der Erde; der Widderpunkt befindet sich links. |
Am 7. Januar 1944 durchlief der Meteoroid zum letztenmal als eigenständiger Himmelskörper den sonnennächsten Punkt seiner Bahn. Der Abstand von der Sonne betrug hier 147.02 Millionen Kilometer. Man beachte die Unterschiede der scheinbaren Sonnengröße in diesem und im folgenden Bild vom sonnenfernsten Punkt aus. |
Den sonnenfernsten Punkt im Asteroidengürtel erreichte der Sikhote-Alin-
Meteoroid zum letztenmal am 6. August 1945. Der Abstand von der Sonne betrug
nun 486.68 Millionen Kilometer. Von dieser Position aus hätte ein Beobachter
das gesamte innere Sonnensystem als Panorama sehen können.
Zur Verdeutlichung sind im obigen Bild die Bahnen der Planeten
eingezeichnet; der Übersichtlichkeit halber ist die Erdbahn blau und die Marsbahn
rot eingefärbt.
Etwas weniger als zwei Wochen vor dem Zusammenstoß mit der Erde: nachdem schon seit dem Jahresanfang 1947 die Erde als kleine, wachsende Scheibe sichtbar war, ließ sich am 1. Februar 1947 vom Meteoroiden aus das Erde-Mond- System als himmlisches Panorama beobachten. |
Auf diesem Bild vom 11. Februar 1947, sechs Stunden vor dem Einschlag, ist deutlich zu sehen, daß der kleine Himmelskörper sich der Erde von nördlich ihrer Bahnebene aus näherte. Rechts (im Bild rechts unten) auf der Erde war das Nordpolarmeer mit der Eiskappe zu sehen. Da auf der Nordhalbkugel im Februar Winter ist, lagen sie im Schatten. Weiter links befand sich Kanada im Tageslicht. |
Ostsibirien hart voraus: etwas weniger als zwei Stunden vor dem Aufschlag
wurden auf der Erde schon eine Menge Details sichtbar. Das Bild zeigt in der
Wolkenlücke die sibirische Halbinsel Kamtschatka. Die Atmosphäre der Erde, am Rand als dünner hellblauer Saum zu sehen, wird von Celestia übrigens ganz korrekt dargestellt. |
Ein paar Minuten vor dem Fall am 12. Februar 1947 um 00:38 Weltzeit (10:38
Ortszeit) hätte ein Beobachter auf dem Meteoroiden sich schleunigst aus dem
Staub machen müssen. Man sieht in der rechten Bildhälfte schon deutlich den dunklen Streifen des bewaldeten Sikhote-Alin- Gebirges. In Wirklichkeit hatte es dort Mitte Februar 1947 allerdings geschneit. Im Meer erkennt man die Insel Sachalin und, zum Horizont hin, einen Teil Japans. |
Wenige Sekunden vor dem Einschlag erreicht der Meteoroid die äußersten Ausläufer der Erdatmosphäre in 100 km Höhe und wird durch die Reibungshitze sofort bis zur Weißglut erhitzt. Für die erstaunten Bewohner des Planeten unter ihm wird er nun als heller Feuerball am Himmel sichtbar. |
Die Feuerkugel, die am 12. Februar 1947 über dem Sikhote-Alin- Gebirge von
Nord-Nordosten kommend durch den Himmel raste, wurde
bei klarem Wetter von mehr als 240 Augenzeugen beschrieben, von denen einige
Aussagen in [7] wiedergegeben sind. Es herrscht Einigkeit darüber, daß der
Feuerball zuerst als einzelner Körper flog. Ein Schulmädchen beschrieb ihn
"als ob sich ein Stück von der Sonne gelöst hätte." Unter lautem Donner
wie von Kanonen brach der Körper dann auseinander, in mehreren
Einzelexplosionen und nicht kontinuierlich, wie die Beobachter ausdrücklich
betonen. Die Einzelstücke hatten die "Form von Kerzenflammen und zogen
kleine Feuer und Funken hinter sich her", flogen jedoch weiter als
kohärenter Schwarm. Über die Farbe der Erscheinung herrscht Uneinigkeit
(rötlich, pink, blau oder grünlich), es ist jedoch nicht klar, ob die Aussagen
sich auf die hell glühenden Köpfe oder die Meteorschweife beziehen (vergleiche
hierzu auch das Video des Peekskill-Meteoriten von 1992!). Ein sechzehnjähriger Junge hielt den Meteorschwarm für eine amerikanische Atomwaffe - schließlich lag die Bombardierung von Hiroshima erst anderthalb Jahre zurück. Der fliegende Schwarm hinterließ eine breite dunkle Rauchspur, die noch für Stunden am Himmel zu sehen war. Von Iman an der Transibirischen Eisenbahn aus hielt der russische Künstler P. I. Medvedev seine Impressionen in einem Gemälde fest. |
Gängigen physikalischen Modellen zufolge wird einem Meteoroiden von der Größe
und Geschwindigkeit Sikhote Alins rund die Hälfte seiner Ausgangsmasse durch
die Luftreibung abgeschmolzen werden [6]. Demzufolge sollte der Körper vor dem
Eintritt in die Erdatmosphäre eine Masse von rund 200 Tonnen besessen haben.
Das entspricht in etwa einer Kugel von 4 Meter Durchmesser. Nebenstehende Graphik veranschaulicht die Größe anhand einer maßstabsgerecht hineinkopierten sitzenden Figur der Autorin. Die Form des Meteoroiden ist rein hypothetisch; jedoch ist für einen Oktaedriten eine kugelig-ellipsoidische bis polyedrische Form ganz gut denkbar [4]. |
Die folgenden Diagramme folgen der Publikation von Krinov [4], in der das Zerbrechen des Meteoroiden in der Atmosphäre aufgrund der ausgewerteten Funde im Streufeld des Falles aufgeschlüsselt wird. Die einzelnen Stadien des Zerbrechens lassen sich klar voneinander unterscheiden; man gibt heute im allgemeinen vier Hauptstadien an. Das langsame "Abbröckeln", das bei den Einzelteilen im Flug sicher auch noch stattgefunden hat, ist dabei aber nicht berücksichtigt.
1. Fragmentation
Nachdem der Mutterkörper beim Eintritt in die dichteren Schichten der
Erdatmosphäre in rund 80 km Höhe schon intensiv zu glühen begonnen hat und als
Feuerkugel sichtbar geworden ist, wird in rund 10 km Höhe der Luftwiderstand
so groß, daß die Materialfestigkeit von Eisen ihm nicht mehr standhalten kann.
Der Körper zerbricht, es kommt zur ersten Fragmentation. |
2. Fragmentation
In rund 3 bis 4 km Höhe kommt es zum nächsten Stadiums des Aufbrechens: die
Luftdichte ist hier unten so groß geworden, daß auch die gerade entstandenen
Bruchstücke trotz ihrer kleineren Querschnittsfläche dem Druck nicht mehr
standhalten können. Die beiden größten im Schwarm ganz vorn fliegenden Teile
brechen ihrerseits noch einmal auseinander. Das bezeichnet man als zweite
Fragmentation. |
3. Fragmentation
Schon ziemlich dicht über dem Boden, in ca. 1500 Meter Höhe, ist die
Luftdichte noch höher geworden. Noch einmal kommt es deshalb zum Aufbrechen
von Trümmern, dem dritten. |
4. Fragmentation
Die größten jetzt noch existierenden Teile des Mutterkörpers haben zwar schon
einen Großteil ihrer kosmischen Geschwindigkeit verloren, schlagen aber
dennoch mit schätzungsweise immer noch 500 m/s in den Boden ein. Durch die
Wucht des Einschlages werden sie in Tausende von Splittern zerfetzt, die
zwischen den Kratern zu liegen kommen. Der größte Krater hat übrigens einen
Durchmesser von 26 Metern und ist 6 Meter tief [2,3]. |
Im nebenstehenden Diagramm ist noch einmal das Streufeld des
Sikhote-Alin-Falles als schematische Karte dargestellt. Norden ist oben; die
Farben
entsprechen den obigen Diagrammen zur Fragmentation. Man erkennt neben der roten Ellipse des Hauptstreufeldes die kleineren Ellipsen in Blau und Grün, die den in der zweiten und dritten Fragmentation erzeugten sekundären Trümmerschleppen entsprechen. Die Fragmente aus den "grünen" Zonen sind dabei im allgemeinen eigentlich "zu klein" für eine Position so weit vorne im Hauptstreufeld. Die schwarzen Punkte bezeichnen große Einschlagkrater. Hier finden sich die vielen Splitter der 4. Fragmentation; die Funde aus den roten und blauen/grünen Ellipsen sind alles Individuen. Darstellung nach [4]. |
Nebenstehend einige Beispiele für Funde aus dem Streufeld des Sikhote-Alin-
Meteoriten. Man erkennt zwei kleinere Schrapnelle aus der 4. Fragmentation;
beiden sieht man noch an, wie sie beim Einschlag verbogen und zerrissen
wurden. Die beiden größeren Stücke sind Individuen, die noch ihre schwärzliche Schmelzkruste besitzen. Das größere von beiden hat ausgeprägte Rhegmaglyphen und stammt vermutlich aus der zweiten Fragmentation. Das kleinere Individuum ist rundlicher und hat kaum Schmelzgruben entwickelt; es könnte daher ein Exemplar der dritten Fragmentation sein. Die gezeigten Stücke haben Massen von 24, 21, 8 und 5 Gramm und gehören zur Privatsammlung der Autorin. Sie sind unverkäuflich.
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